FOTO: HENNING ROGGE

Durch die Blume

Der Darstellung von Blumen in der Kunst haftet oft etwas triviales an. Die Fotografie hat mittels ausgefeilter Techniken Wege gefunden, die Pflanzen in neuem Licht zu zeigen. Dabei geht es auch um unsere eigene Vergänglichkeit. VON MARC PESCHKE

5. December 2023

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Blumen gehen immer. Von der Antike über die Barockzeit bis in die Gegenwart ziehen sie die Blicke der Menschen an. In der Kunst haben Blumen jedoch ein Imageproblem: Sie verkörpern das vermeintlich Triviale und farbenfrohe Harmlosigkeit. Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Das Welken und Verdorren, das Erschlaffen, das Drama des Sterbens – Blumen tragen den Tod immer in sich.

Das spielt auch in ihrer Inszenierung in der Kunst eine wichtige Rolle. Im Barock, einer Epoche, die den Tod als integralen Bestandteil des Lebens betrachtet ist das sogenannte Vanitas-Motiv in vielen Vergänglichkeits- und Todesallegorien zu finden. Man denke etwa an die symbolischen Stillleben des niederländischen Malers Adriaen van Utrecht, der einen Strauß verblühender Blumen mit einem Totenschädel in Szene setzte.

Auch die Geschichte der Fotokunst steckt voller Blumenbilder: Karl Blossfeldt, Peter Fischli und David Weiss, David LaChapelle, Marc Quinn, Nobuyoshi Araki, Elfriede Mejchar, Albert Renger-Patzsch, August Sander, Luzia Simons, William Henry Fox Talbot, Michael Wesely oder Robert Mapplethorpe – sie alle haben bedeutende Werkgruppen geschaffen, die an die lange Bildtradition des Themas anknüpfen.

Die 1966 geborenenen Berliner Künstlerin Kathrin Linkersdorffs macht aus verwelkten Blumen Kunst. Gerade im Vergehen, in der Flüchtigkeit des Lebens, lasse sich ihre Schönheit besonders gut erkennen, sagt Linkersdorff. Ihre Fotografien zeigen, was dem bloßen Auge verborgen bleibt und kommt den Geheimnissen der Botanik auf die Spur. Beeinflusst wurde Linkersdorff Einfluss vom ästhetischen Gedanken des Wabi-Sabi, den Linkersdorff in den 1990er Jahren während ihres Architekturstudiums in Japan kennenlernte. Das jahrhundertealte Konzept ist eng mit dem Buddhismus verknüpft und versucht Schönheit in unvollkommenen und einfachen Dingen zu entdecken.

»Mich hat nicht nur die Ästhetik beeindruckt, sondern vor allem auch die Einfachheit oder Schlichtheit. Außerdem bin ich dort einer großen Ehrfurcht vor der Natur begegnet«, sagt die Künstlerin.

Linkersdorff Arbeitsprozess ist akribisch und beinahe alchemistisch. Für ihre Makrofotografien, die Linkersdorff als »Treffen mit einer Blume« beschreibt, besprüht sie die getrockeneten Blumen mit Wasser, entstaubt sie, hängt sie auf, dreht und wendet sie. »Es sind sehr aufwendige Prozesse, von der Vorbereitung über die Qualität der Blüten und der Pflanzentinten, die ich selbst herstelle, und das Arrangieren des fotografischen Settings bis hin zum fertigen Print«, sagt die Künstlerin. Die Freistellung der Pflanzen sowie ihre Inszenierung vor weißem oder schwarzem Hintergrund, lassen sie neuartig und unwirklich erscheinen.

Verfall als Schönheit zu begreifen, darum geht es Linkersdorff. Auch andere zeitgenössische Fotograf*innen haben dieses Motiv immer wieder aufgegriffen. Ein berühmter Künstler, in dessen Werk das Blumenmotiv eine prominente Rolle spielt, ist Robert Mapplethorpe. Für ihn ist die Blume eine Metapher für das Leben selbst, für die Liebe, die Sexualität und den Tod. In der Nachfolge dieser feinsinnigen Schwarzweißfotografien – in der sich kaum Hinweise auf ihre Entstehungszeit finden lassen – entstanden in den vergangenen Jahren viele Arbeiten, in denen die Vergänglichkeit anhand verwelkender Blumen und Pflanzen dargestellt wird.

Die Nähe zwischen Pflanzen und Tod beschäftigt auch den japanischen Künstler Nobuyoshi Araki. Er zeigt Pflanzen im Stadium des Vergehens in enger Verbindung mit der Schönheit des weiblichen Körpers. »Manchmal fühle ich mich dem Leben gegenüber wie ein Parasit, der es mit seiner Kamera aussaugt«, hat Araki einmal gesagt. Seine Bilder von verwelkenden Blumen erzählen von der Auflösung der Formen, von der Schönheit und vom Tod, aber auch von dem, was danach kommen kann.
Einen ähnlich Ansatz verfolgt der deutsche Fotograf Michael Weselys, der die klassische Sichtweise auf die Fotografie mit seinen Langzeitbelichtungen seit Jahren konsequent hinterfragt. Vor allem widerspricht der Berliner der Idee der Fotografie als einem kurzen, »entscheidenden« Moment. Seine Langzeitbelichtungen von Blumen fassen nicht den einen Augenblick ins Bild, sondern viele Augenblicke: Noch im blühenden Zustand ist den Blumen der Verfall bereits eingeschrieben.

Kathrin Linkersdorffs Arbeiten ermöglichen es den Betrachter*innen, den organischen Aufbau der Pflanzen besser zu verstehen. Sie erinnern dabei an die Pflanzenfotografien von Karl Blossfeldt, die 1928 im Fotobuch »Urformen der Kunst« erschienen. Der Bildhauer und Fotograf empfand sein Tun nie als autonome künstlerische Leistung. Für ihn hatten die mit einer Plattenkamera entstandenen Fotografien im Dienst seiner botanischen Forschung, wie er im Vorwort zu seinem späteren Buch Wundergarten der Natur schrieb: »Meine Pflanzenurkunden sollen dazu beitragen, die Verbindung mit der Natur wieder herzustellen. Sie sollten den Sinn für die Natur wieder wecken, auf den überreichen Formenschatz in der Natur hinzuweisen und zu eigener Beobachtung unserer heimischen Pflanzenwelt anregen.«

Auch Kathrin Linkersdorffs Arbeiten enthüllen für das menschliche Auge unsichtbare botanische Welten. Dabei bedient sie sich Methoden aus der Mikrobiologie, wie etwa in den neuen Serien Microverse I und Microverse II, bei denen biologische Veränderungsprozesse auf entfärbten Pflanzen und Früchten mittels Bakterien hervorgerufen werden. Die neue Werkreihe entstand im Austausch mit der Mikrobiologin Prof. Dr. Regine Hengge von der Humboldt Universität, an der Linkersdorff derzeit Artist in Residence ist. Die Ausstellung der Künstlerin verbindet so auf spektakuläre Weise ein klassisches Thema der Kunst mit neuester Forschung.

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Die Ausstellung KATHRIN LINKERSDORFF – WORKS ist bis zum 21. Januar 2024 im PHOXXI


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