Foto: Henning Rogge

Auch Künstlerinnen
wollen Kinder haben

In Deutschland gibt es hunderte Stipendien, die Künstler*innen notwendige Freiräume für ihre Arbeit ermöglichen. Doch vielen wird der Zugang zur Förderung erschwert. Dabei gäbe es genug Ideen, das zu ändern. VON DAMIAN ZIMMERMANN

15. September 2020

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Es klingt zu gut um wahr zu sein: Im Rahmen der geplanten Ausstellung Schule der Folgenlosigkeit im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg vergibt Projektleiter Friedrich von Borries von der Hochschule für bildende Künste in Hamburg drei Stipendien in Höhe von jeweils 1600 Euro. Was man dafür tun muss? Rein gar nichts. Denn anders als sonst üblich bekommt man das Geld nicht, um eine Idee umzusetzen oder als Belohnung für bereits geleistete Arbeiten.

Beim »Stipendium für Nichtstun« gehe es vielmehr darum, Handlungen zu unterlassen, damit das eigene Leben keine negativen Folgen für das Leben anderer habe. Das kann der Verzicht auf das Auto, Flugreisen oder Fleisch sein, aber auch der bewusste Umgang mit Mitmenschen. Mehr als 500 Bewerbungen seien bereits eingegangen, heißt es von Seiten der Hochschule. Bis zum Bewerbungsschluss rechne man mit mehr als 1000. Dieser große Erfolg hängt sicher auch damit zusammen, dass sich hier – anders als bei Stipendien für Bildende Künstler – jede natürliche Person unabhängig vom Beruf und vom Alter bewerben kann: Beim Stipendium für Nichtstun sind nicht die Stipendiaten die Künstler*innen – das Stipendium selbst ist die Kunst!

Bei den Hunderten von Stipendien, die es in Deutschland für Bildende Künstler*innen gibt, sieht das natürlich vollkommen anders aus. Hier werden Personen für ihr bisheriges Schaffen ausgezeichnet und zukünftige Arbeiten gefördert. Die Stipendien sollen ihnen also ihre künstlerische Arbeit erleichtern oder vielleicht sogar überhaupt erst ermöglichen – für viele, vor allem junge Künstler*innen sind Arbeits-, Projekt- und Reisestipendien deshalb eine ganz grundlegende Voraussetzung.

Mona Hermann. Foto: Jenny Schäfer

So wie für Mona Hermann. Die 31-jährige gebürtige Wienerin hat vor zwei Jahren ihren Abschluss an der HFBK in Hamburg gemacht und musste sich zunächst einmal neu orientieren. Die Künstlerin und Kuratorin erhielt 2019 eines der zehn Arbeitsstipendien für Bildende Kunst der Hansestadt: Ein Jahr lang bekam sie monatlich 1500 Euro zur freien Verfügung – und zwar steuerfrei. »Das hat mir einen unglaublichen Freiraum geboten und mir sehr geholfen, in den Beruf einzusteigen und mir etwas aufzubauen«, sagt Hermann. Von dem Geld mietete sie sich ein Atelier, musste weniger jobben und konnte sogar noch etwas zur Seite legen, was ihr vor allem während der Corona-Krise zugute kam.

Nach Ablauf des Jahres präsentieren alle Stipendiat*innen ihre Arbeiten im Rahmen einer Ausstellung in der Sammlung Falckenberg der Deichtorhallen Hamburg. Außerdem erscheint ein Katalog. Aber: Die Geförderten sind nicht verpflichtet, eine Arbeit abzuliefern, die im Rahmen des Stipendiums entstanden ist.

»Wir wollen, dass die Künstlerinnen und Künstler frei von ökonomischen Zwängen arbeiten können«, erklärt die zuständige Referentin für Bildende Kunst bei der Stadt Hamburg, Anne-Kathrin Reinberg. »Sie müssen dafür keine Gegenleistung erbringen und uns weder eine Arbeit schenken noch Rechenschaft abliefern, was sie mit dem Geld gemacht haben. Theoretisch können sie sich auch zehn Waschmaschinen kaufen oder verreisen.« Das macht das Hamburger Arbeitsstipendium nicht nur, aber vor allem für Kunsthochschul-Absolvent*innen attraktiv. Etwa 160 bis 170 Bewerber*innen gäbe es aktuell auf die zehn Stipendienplätze, so Reinberg. Das macht statistisch 17 Bewerber*innen auf einen Platz, was eine ziemlich erfolgversprechende Quote ist, zumal die Fördersumme mit 18.000 Euro pro Künstler*in vergleichsweise hoch ist.

Marcia Breuer. Foto: Jenny Schaefer

Zum Vergleich: Die Stadt Köln vergibt zwar mit dem Friedrich-Vordemberge-Stipendium und den Chargesheimer-Stipendium zwei getrennte Förderungen für Bildende Künstler*innen sowie für Fotograf*innen und Medienkünstler*innen, doch ausgezeichnet werden insgesamt nur zwei von rund 80 bis 90 Bewerber*innen. Zudem ist die Fördersumme mit 12.000 Euro pro Stipendium ein Drittel niedriger und sie muss für ein vorher eingereichtes Projekt verwendet werden. Zudem existiert in Köln eine Altersgrenze: Die Bewerber*innen dürfen nicht älter als 35 Jahre sein.

Solche Beschränkungen sind in der Kunstwelt nicht selten, weil auf diese Weise ausdrücklich junge Künstler*innen unterstützt werden sollen. Das klingt sinnvoll, birgt aber auch Gefahren. Abgesehen davon, dass sich ältere Künstler*innen benachteiligt fühlen, wächst bei jüngeren der Druck, in den wenigen Jahren nach dem Hochschulabschluss möglichst viele Stipendien »zu sammeln« und damit eine beeindruckende Künstler*innen-Vita aufzubauen.

Insbesondere für Mütter wird die Altersgrenze zu einer zusätzlichen Hürde. Denn wer sich entscheidet, mit Ende 20 oder Anfang 30 Kinder zu bekommen, kann seine künstlerische Arbeit meist erst einmal auf Eis legen. Und das Netzwerken, das in diesem Bereich fast genau wichtig ist wie die künstlerische Arbeit selbst, sowieso. Wer ein Kleinkind zu Hause sitzen hat, wird selten die Abende damit verbringen, von Vernissage zu Vernissage zu tingeln, um Kontakte zu knüpfen. Doch wer sich nicht zeigt, der wird auch nicht gesehen.

Aus diesem Grund hat die Fotografin Marcia Breuer die Initiative »Mehr Mütter für die Kunst.« ins Leben gerufen. Das zugehörige Manifest wurde etwa 1500 Mal unterzeichnet. Die Initiative fordert unter anderem, dass Altersbegrenzungen für Stipendien entweder abgeschafft oder für Künstler*innen mit Kindern um zwei bis drei Jahre pro Kind erhöht werden. Weitere Forderungen sind Zuschläge für die Kinderbetreuung und die Übernahme von Reisekosten für mitreisende Kinder. »Besonders Reise- und Residenzstipendien sind allein schon wegen der Dauer schwierig umzusetzen, wenn man Kinder hat«, erklärt Breuer.

Anna Ehrenstein. Foto: Will Fredo

Die zweifache Mutter beobachtet, dass erfolgreiche Künstlerinnen in der Geschichte nur selten Kinder hatten und diese bis heute in der Kunstszene nicht gerne gesehen werden. »Ein Kind widerspricht den Erwartungen, die man an Künstler hat, die mit Haut und Haaren nur für ihre Kunst leben und sich nicht mit so etwas Profanem wie einer Familie beschäftigen sollen«, so die die 41-Jährige. »Aber es findet in den letzten Jahren ein Umdenken statt: Auch Künstlerinnen wollen Kinder haben – und diese veränderte Realität muss in der Kunstförderung ankommen.«

Die 27-jährige Anna Ehrenstein hat trotz ihres jungen Alters bereits mehrere Stipendien hinter sich und wurde mit dem diesjährigen C/O Berlin Talent Award ausgezeichnet. Ende Januar wird ihre dazugehörige Ausstellung im Amerika Haus eröffnet. Für die Multimediakünstlerin mit albanischen Wurzeln sind Stipendien ein zweischneidiges Schwert. »Mir ist sehr bewusst, dass ich es mit meiner Kunst außerhalb Deutschlands – beispielsweise in den USA, London oder Albanien - sehr viel schwerer hätte, weil meine Arbeiten sich auf dem Kunstmarkt nur schwer verkaufen lassen.«

Gleichzeitig beobachte sie jedoch eine Art Klassenzwang innerhalb der Kunstwelt. »Der Einstieg in die Kunstwelt ist schwierig, wenn man aus der Arbeiterklasse kommt. Ich habe an zwei Hochschulen studiert und 90 Prozent meiner Kommilitonen waren deutsche Mittelstands-Kids, die sich keine großen Überlebenssorgen machen mussten.« Während des Studiums seien dann vor allem Student*innen prämiert worden, die besonders fleißig waren, weil sie nicht nebenbei arbeiten mussten, und es wurden diejenigen am meisten gefördert, die fünf verschiedene Kameras im Schrank liegen gehabt hätten. Für Ehrenstein sei es wichtig, die Bedürftigkeit zu ermitteln. »Warum fragt man bei der Bewerbung nicht einfach, ähnlich wie beim BAföG, wieviel Geld man zur Verfügung hat?«

Tabea Borchardt Foto: © Bettina Steinacker

Nicht nachvollziehen könne sie, dass man bei einigen Stipendien und Preisen bereits bei der Bewerbung eine hohe finanzielle Hürde für die Künstler*innen aufbaue. So wurde Ehrenstein für ein hochdotiertes Stipendium nominiert. »Das hätte mir zwei Jahre lang geholfen, oberhalb der Armutsgrenze in Deutschland zu leben – zum ersten Mal in meinem Leben.« Doch um das Stipendium zu erhalten, musste sie zunächst massiv in Vorleistung gehen. »Sie wollten drei gedruckte Portfolios, eine digitale Bewerbung war nicht möglich.« Kostenpunkt: 300 Euro. Anschließend wurde Ehrenstein zwar in die Hauptauswahl aufgenommen und zu einer Gruppenausstellung eingeladen, doch auch hier musste sie die präsentierten Arbeiten selbst produzieren, was sie noch einmal 900 Euro gekostet hat. Den Preis erhalten hat sie dann allerdings nicht. Diese Art der Bewerbungsverfahren findet Ehrenstein sehr unglücklich, weil es die prekäre Situation vieler Künstler*innen weiter festige anstatt sie zu überwinden.

Wie sieht also das perfekte Stipendium aus? »Das kann man nicht sagen, das hängt sehr vom Einzelfall ab«, sagt Tabea Borchardt. Die 30-Jährige hatte bereits ein Projektstipendium im Rahmen ihres Studiums an der Folkwang Universität der Künste sowie ein Atelierstipendium. Die Höhe der Fördersumme findet sie dabei weniger entscheidend als unbürokratische und vor allem einfache Bewerbungsverfahren, die beispielsweise analoge und digitale Einreichungen zulassen und bei denen von vornherein geklärt ist, wie mit dem Geld steuerrechtlich umzugehen ist.

Borchardt selbst bewirbt sich mittlerweile seltener auf Stipendien, und wenn, dann lieber sehr zielgerichtet anstatt in die Breite. Das spart zudem Zeit. Gleichzeitig wisse sie, dass Stipendien genauso wichtige Bausteine in einem Künstler*innenlebenslauf sind wie Ausstellungen und Auszeichnungen. Nicht verstehen könne sie, »warum auch sehr bekannte Künstler immer wieder ausgezeichnet werden. Ich würde mir Überraschungs-Stipendien wünschen, auf die man sich gar nicht bewirbt. Und Stipendien für Leute, die ihre Projekte sonst nicht aus eigener Kraft stemmen können. Die Hemmschwelle, dass man sich wegen einer wirtschaftlichen Bedürftigkeit heraus bewirbt, muss niedriger werden.«

Damian Zimmermann (* 1976) lebt und arbeitet als Journalist, Kunstkritiker, Fotograf, Kurator und Festivalmacher in Köln.

Werke der Stipendiat*innen des ARBEITSSTIPENDIUMS FÜR BILDENDE KUNST sind noch bis zum 18. Oktober 2020 in der Sammlung Falckenberg zu sehen.


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