Dracula gegen Monsterkrake

Er ist die Inspiration für die ERNSTHAFT?!-Ausstellung: Ed Wood gilt als schlechtester Filmemacher aller Zeiten. Bis heute feiern ihn Filmfans als enthusiastischen Dilettanten, der sich trotz aller Hoffnungslosigkeit nicht beirren ließ. VON DANIEL KULLE

8. Juni 2023

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Studio City, Hollywood, weit nach Mitternacht. Auf dem Gelände der Republican Studios schleichen einige Männer die Filmhallen und Lagerhäuser entlang. Es ist ein verwirrendes Areal, am Fuße der Hollywood Hills: ein Straßenzug New York, ein anderer Mexiko, ein dritter eine Westernstadt. Doch die Männer haben dafür kein Auge. Zielstrebig eilen sie eine Treppe hinauf. Dort auf dem Dachboden eines Lagerhauses liegt, weswegen sie gekommen sind: ein riesiges Krakenmodell, das 1948 das letzte Mal für den John-Wayne-Abenteuerfilm Wake of the Red Witch verwendet wurde.

Mühsam ziehen sie die fast 70 Kilo schwere Krake die Treppe hinunter. Ein Arm bricht ab. Sie fahren das Tier hinüber zum Griffith Park, dem hügeligen Stadtpark von Los Angeles. Eine Drehgenehmigung besitzen sie nicht. Sie stauen die kleinen Bäche, die durch den Park laufen, zu einem hüfttiefen See zusammen. Bela Lugosi, der alternde Dracula-Darsteller, steht betrunken und zugedröhnt im eiskalten Wasser. Der Kampf beginnt. Lugosi wickelt theatralisch die Arme der Krake um sich. Den Motor für das Modell haben sie auf dem Dachboden vergessen. Mühsam versucht er, den abgebrochenen Armstumpf unter Wasser und aus dem Bild zu halten. Nach einigen Stunden ist das Bild im Kasten. Cut! Echt wird es nicht aussehen.

Ed Woods in den 1950er Jahren entstandenen Filme sind so schlecht, dass sie schon wieder gut sind. Die Kulissen sind aus Pappe, das Schauspiel ist hölzern, der Dialog pathetisch und unsinnig. Seine Filme sind von einer Inkohärenz und entlarvenden Künstlichkeit, dass sie eine surrealistische Qualität erlangen, die der eines Luis Buñuels in nichts nachstehen. Woods Ziel war das sicherlich nicht. Er wollte Science-Fiction-Filme drehen, Horror oder Krimis. Er wollte Hollywood nacheifern. Er wollte unterhalten.

Es fällt nicht schwer, das Leben von Ed Wood als tragische Biografie zu beschreiben: Geboren wurde er am 10. Oktober 1924 als Sohn eines Postangestellten und einer Warenhausverkäuferin im kleinstädtischen Poughkeepsie, etwa 140 Kilometer nördlich von New York. Nach dem Krieg zog er, der schon früh sehr selbstbewusst auftretende Transvestit mit einer Vorliebe für Angora-Pullis, als „Geek“ und „Half-Man/Half-Woman“ mit einer Schaustellertruppe durchs Land. 1953 gelang ihm mit Glen or Glenda, einem unlogischen, dafür umso engagierteren Aufklärungsfilm über Transvestitismus und Transsexualität, ein erster Erfolg.

Ed Wood im Film Glen or Glenda, 1953. Courtesy Daniel Kulle

Es folgten einige produktive Jahre, in denen Wood mit Filmen wie Bride of the Monster (1956) oder Plan 9 from Outer Space (1959) vom Horror- und Science-Fiction-Boom der 1950er profitieren konnte. Nach nur sieben Jahren war seine Zeit als Filmregisseur 1960 schon wieder vorbei. Grund war seine Alkoholabhängigkeit, die ihn immer weiter einschränkte. Der Misserfolg seiner Filme gab ihm den Rest. Zunächst hielt er sich in den Folgejahren mit dem Schreiben von Drehbüchern und Sexromanen über Wasser. Von Alkoholabhängigkeit und sozialem Abstieg gezeichnet, starb er 1978 in North Hollywood im Alter von 54 Jahren.

Doch hatte Ed Wood nicht nur eine tragische Seite. Er war ein Trotzkopf, der sich allen Widerständen entgegenstellte, indem er ganz einfach weiterarbeitete. Beim Dreh wurde meist improvisiert, Geld war immer ein Problem. Doch er fand Auswege: Für Bride of the Monster ließ er den untalentierten Sohn eines Schlachthausbesitzers die Hauptrolle übernehmen, damit der Vater den Film finanziell unterstützte. Und für Plan 9 from Outer Space ließ sich das gesamte Team von einer Baptistengemeinde taufen. Die nämlich hatte die Finanzierung des Films übernommen.

Immer musste es schnell und billig gehen: Auf Drehgenehmigungen wurde verzichtet. Spezialeffekte wurden mit handwerklichen Mitteln aus dem Haushalt oder dem Spielzeugladen improvisiert. Aufnahmen wurden nur wenige Male wiederholt. Die Filme mit Archivmaterial auf die benötigte Kinolänge gebracht.

Dabei versammelte Wood ein Team um sich, das ihm in seiner tragischen Erfolglosigkeit in nichts nachstand. Lugosi, Star der 1930er, war Anfang der 1950er durch seine Morphiumabhängigkeit schwer gezeichnet und starb 1956 während der Dreharbeiten zu Plan 9 from Outer Space. Die Rolle wurde kurzerhand von Woods Chiropraktiker übernommen. Kameramann William C. Thompson verlor mit zunehmendem Alter sein Augenlicht. Maila Nurmi hatte Mitte der 50er-Jahre mit ihrer Kunstfigur Vampira – inspiriert von der Comicfigur Morticia aus der Addams-Family – eine spektakuläre, aber kurze Fernsehkarriere hingelegt, an die sie mit ihren Rollen in Woods Filmen aber nicht anknüpfen konnte.

Gemeinsam verkörperten Ed Wood und sein Team eine spezielle Ästhetik des Scheiterns: Sie scheiterten auf einer technisch-handwerklichen Ebene, indem sie mehr versuchen, als sie einlösen konnten. Alle Standards und Normen wurden mit nonchalantem Ungestüm umgeworfen wie die Pappgrabsteine auf dem improvisierten Friedhof in Plan 9. Sie scheiterten auf künstlerischer Ebene, indem sie jeglichen Anspruch an Originalität ignorierten, nachäfften oder plagiierten, was das Zeug hält. Und sie scheiterten am System Hollywood, der grausamen Traumfabrik.

Jean-Luc Blanc, Ed Wood, Öl auf Leinwand, 2022. Aus der Ausstellung ERNSTHAFT?! ALBERNHEIT UND ENTHUSIASMUS IN DER KUNST. Foto: Henning Rogge

Sie alle waren, mit anderen Worten, Dilettanten. Dieses Etikett sollte man ernst nehmen, gerade auch in seiner Ambivalenz. Denn der Dilettant, so zumindest wird der Begriff ab dem 16. Jahrhundert verwendet, bezeichnet zunächst vor allem diejenigen, die eine Kunst nur ausführen, um sich zu erfreuen („per se dilettare“) und nicht als „Brotkünstler“ dem Auftrag eines Mäzens zu gehorchen haben. Erst mit dem Aufkommen einer bürgerlichen Kunst und Literatur kehrt sich die Bedeutung um: Der Dilettant wird zum Möchtegernkünstler degradiert, zum jugendlichen Stürmer und Dränger, der sich gegenüber den Meistern der Berufskunst nur lächerlich machen kann.

In der französischen Tradition, etwa bei Baudelaire, behält der Dilettant dagegen seine positive Konnotation bei, allerdings mit einem zutiefst ironischen Dreh: Hier ist es der Dandy und Flaneur, der mit spielerischer Unverbindlichkeit und ästhetischer Empfindsamkeit zu dilettieren versucht und sich so gegen die gleichermaßen handwerklich wie kunstbetriebliche „Meisterschaft“ stellt.

In dieser ironischen Umdeutung zieht sich der Dilettant durch Kunst, Literatur und Musik des 20. Jahrhunderts, von Duchamps Fountain und der écriture automatique der Surrealisten bis hin zum Musik-Festival Geniale Dilletanten [sic] 1981 im Berliner Tempodrom, ein Höhepunkt des Post-Punk.

Aus diesem Dilettantismus lässt sich erklärt auch der posthume Erfolg Ed Woods als „schlechtester Regisseur aller Zeiten“ erklären. Ed Wood fasziniert als ganz eigener auteur. So setzte ihm der Regisseur Tim Burton 1994 in dem gleichnamigen Biopic mit Johnny Depp in der Hauptrolle ein Denkmal, das Wood auch international bekannt machte und seinem Werk ganz neue Fans bescherte. Für die ERNSTHAFT?! ALBERNHEIT UND ENTHUSIASMUS IN DER KUNST über schlechten Geschmack, Camp und Trash, inspiriert Ed Wood die Kurator*innen Cristina Ricupero und Jörg Heiser.

In ihren und in den Augen der Filmfans wird Ed Wood zum heldenhaften Scharlatan, zum kindlichen wie weisen Schelm, der sich die Lücken der kommerziellen Kulturindustrie zunutze zu machen wusste und sich, unbeeindruckt vom Gewicht der materiellen Realität, eine eigene Welt erträumte. Und er wird zum Sisyphos, der sich, ewig scheiternd, doch mit unermüdlicher Verve und antibürgerlichem Gestus, gegen ein hegemoniales System und dessen Normen auflehnt.

Was Wood dazu gesagt hätte, wissen wir nicht. Wir wissen nicht einmal, ob die Geschichte mit dem Kraken stimmt. Vielleicht hat Wood sie auch legal gemietet. Wood erfand gerne solche Geschichten.

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Daniel Kulle ist Filmemacher und Autor in Hamburg. In seinen Filmen und Texten beschäftigt er sich mit Queer Cinema, digitaler Ästhetik und Experimentalfilm. Sein letzter Film, Das Kolonialinstitut, hatte 2019 seine Premiere auf dem Hamburg Filmfest.

Die Ausstellung ERNSTHAFT?! ALBERNHEIT UND ENTHUSIASMUS IN DER KUNST ist noch bis zum 27. August 2023 in der Sammlung Falckenberg zu sehen. Der Eintritt ist frei.

Filme von Ed Wood sind im Rahmen einer Filmreihe zur Ausstellung am 14. Juli 2023 mit einer Einführung des Autors im Metropolis Kino zu sehen.


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