»Ein Sound wie ein Luftzug«
30. Juli 2025
© Centre Pompidou-Metz / Alexandre Carel / 2024
30. Juli 2025
Stefan Schneider, vor vielen Jahren haben wir schon mal ein Interview geführt, das war 1997. Es ging um das Album Veiculo Ihrer damaligen Band To Rococo Rot. Der portugiesische Titel spielte auf die Bewegung in der Musik an, gleichzeitig waren Sie und Ihre Kollegen in der Band damals an Fahrzeugen interessiert, weil sie alle keinen Führerschein hatten. Haben Sie heute einen?
Nein. Vor ein paar Jahren hatte ich kurz überlegt, doch noch einen Führerschein zu machen, um meinen Vater, der heute 88 ist, gelegentlich fahren zu können. Aber er hat mir abgeraten und meinte: Lass uns dann lieber ein Taxi nehmen, das ist einfacher. Mein Vater war früher Schaufensterdekorateur. Als Kind durfte ich ihn manchmal auf seinen Touren begleiten. Wir saßen zusammen im VW-Bus und sind durch die Gegend gefahren. Das fand ich faszinierend. In unserer Wohnung lagen Werkzeuge und Materialien herum, die ich benutzen konnte. Mein Vater war ein guter Zeichner, hat abends mit mir Tiere, Autos, Häuser gezeichnet. Dort liegt vermutlich ein Ursprung meines Interesses an Gestaltung.
Heute sprechen wir über »Wunderbild«, die monumentale Arbeit von Katharina Grosse, die derzeit in den Deichtorhallen zu sehen ist. Sie haben die Musik dazu komponiert – gemeinsam mit Katharina Grosse. Wie kam es dazu?
Katharina und ich kennen uns seit dem Studium in den frühen 90er Jahren an der Kunstakademie Düsseldorf. Ich war in der Klasse von Bernd Becher für Fotografie, sie studierte bei Gotthard Graubner Malerei. Gegen Ende des Studiums haben wir begonnen, uns klassenübergreifend auszutauschen. Es gab damals in Düsseldorf einige recht dominante Professor*innen: Gerhard Richter, Nam June Paik, Gotthard Graubner, Bernd Becher. Innerhalb der Klassen war man sehr eingebunden und hatte wenig Kontakt zu Kommiliton*innen aus anderen Klassen. Das wollten wir ändern. Losgelöst von Lehrplänen und Kategorien wollten wir uns mit Leuten unterschiedlicher Backgrounds austauschen. Das war für mich interessanter, als mit meinen Fotografie-Kommiliton*innen über Kodak-oder Fuji-Filme zu diskutieren. Und es war der Anfang einer sehr besonderen Verbindung zu Katharina.
»Der Klang soll eher wie ein Luftzug durch die Halle wehen. Wie ein Moment, in dem man ein Fenster öffnet.«
Und aus dieser Verbindung wurde eine künstlerische Zusammenarbeit?
2008 waren Katharina und ich im Kölner Kunstverein eingeladen, ein öffentliches Künstlergespräch zu führen. Statt nur zu sprechen, wollten wir eine Gesprächssituation schaffen, die auch durch gespielte Musik strukturiert wird. Wir haben Töne gespielt, unterbrochen, weitergeredet. Es war kein Konzert, sondern der Versuch, ein Gespräch auch klanglich zu formen. Aus dieser Idee hat sich unsere musikalische Zusammenarbeit entwickelt. Seither arbeiten wir regelmäßig zusammen – zuletzt bei »Wunderbild«.
Wie ist die Musik für die aktuelle Ausstellung entstanden?
Sie besteht aus acht sehr kurzen Klangfragmenten – je etwa 20 Sekunden lang. Das Material stammt aus Sessions, die wir gemeinsam an elektronischen Instrumenten gespielt haben. Ursprünglich waren die verwendeten Passagen doppelt so lang. Aber beim Soundcheck in den Deichtorhallen sagte Katharina: »40 Sekunden sind zu viel – da beginnt man zuzuhören.« Das sollte nicht sein. Der Klang soll eher wie ein Luftzug durch die Halle wehen. Wie ein Moment, in dem man ein Fenster öffnet. Sehr präsent, aber eben nicht musikalisch.
Sie sprechen von Klang, nicht von Musik. Warum?
Weil unsere Zusammenarbeit nicht auf klassischen musikalischen Parametern basiert. Wir machen keine Songs, keine Improvisationen im herkömmlichen Sinne. Es geht vielmehr um Verdichtung, Überlagerung, Bewegung – um das Erzeugen von Atmosphären, nicht von Harmonien. Auch in Katharinas Malerei spielen Schichtung und Erweiterung eine zentrale Rolle. Sie stellt Fragen wie: Wie kommt Malerei ins Leben? Wie verlässt sie das Museum? Wie verändert sie den Blick auf eine alltägliche oder auch ungewöhnliche Umgebung – und wie beeinflusst sie unseren Alltag? In unserer gemeinsamen Arbeit verfolgen wir ähnliche Fragestellungen auf klanglicher Ebene. Wir reden dabei aber fast nie über Musik.
Wie ist es, in einer so monumentalen Ausstellung wie »Wunderbild« zu arbeiten?
Große Räume bringen technische Herausforderungen mit sich. Aber die Größe selbst ist für mich nicht einschüchternd – eher inspirierend. In den Deichtorhallen sollte der Klang die Malerei nicht dominieren, beinahe beiläufig sein – und doch präsent. Bei einer früheren Arbeit im Hamburger Bahnhof in Berlin bewegten wir uns mit dem Publikum durch den Raum – das war mehr Performance. Hier in Hamburg geht es um eine klangliche Erweiterung der Malerei.
Was ist das Besondere an Ihrer Zusammenarbeit mit Katharina Grosse?
Wir brauchen keine langen Vorgespräche. Innerhalb kürzester Zeit kommen wir zu Ergebnissen. Das wäre ohne die persönliche Beziehung nicht denkbar. Unsere Zusammenarbeit ist mehr als eine Arbeitsbeziehung – da ist ein stilles Verständnis, ein großes Vertrauen. Das habe ich mit nur sehr wenigen Menschen. Es braucht oft nur wenige Worte, um gemeinsam etwas entstehen zu lassen.
Wie hat sich Ihre Zusammenarbeit über die Jahre entwickelt?
Ein wichtiger Moment war 2013 in Berlin, im kleinen Projektraum Kurt-Kurt im Geburtshaus von Kurt Tucholsky. Katharina hatte dort mit einem gefällten Straßenbaum gearbeitet, den sie in den Raum bringen ließ. Wir machten auf den Baumteilen eine Performance mit elektronischen Apparaten und Texten. Ich glaube, als Kind hat Katharina Flöte oder Geige gelernt, aber für diesen Auftritt wollte sie bewusst ein Instrument nutzen, das ihr völlig neu war – so kam der Synthesizer dazu. Daraus entwickelten sich viele weitere Aktionen – und 2017 ein erstes gemeinsames Album: Tiergarten. Als ich damals erzählte, dass ich eine Platte mit Katharina Grosse gemacht hätte, sagten viele: »Ach ja, sie hat das Cover gestaltet.« Aber nein: Die Musik stammt von uns beiden und, wie gesagt, arbeiten wir seit 2008 gemeinsam an Klangprojekten.
Wie sie diese Zusammenarbeit beschreiben – mit einem Instrument, das man gar nicht kennt –, das klingt fast nach einem Punk-Ansatz: einfach losspielen?
Punk trifft es nicht ganz. Es geht nicht um Rebellion, sondern um Offenheit und neue Möglichkeiten. Wir wollen uns jenseits bekannter musikalischer Vorstellungen bewegen. Auch betreiben wir keinen Dilettantismus – sondern verfolgen eine bewusste Haltung, um unabhängig von Konventionen zu arbeiten.
»Wir wollen uns jenseits bekannter musikalischer Vorstellungen bewegen.«
Spielt Ihre Herkunft aus der bildenden Kunst für Ihre musikalische Arbeit eine Rolle?
Ich habe zwar Fotografie studiert, aber früh gemerkt, dass mich die Erwartungen des Kunstbetriebs nicht interessieren. Nach dem Studium war ich kurz in Gesprächen mit Galerien, aber ich war immer nur »noch ein Becher-Schüler«. Manche Kurator*innen fanden das gut, manche fanden es langweilig. Mein Name und meine eigenen Arbeiten spielten jedenfalls kaum eine Rolle. Musik war für mich dann eine Form der Befreiung.
Und heute – ist der Musikbetrieb für Sie nach wie vor weniger einengend als der Kunstbetrieb?
Beide Systeme sind durchschaubar. Es braucht keine Jahrzehnte, um zu begreifen, wie sie funktionieren. Ich arbeite heute anders als früher – freier vielleicht. Aber diese Freiheit ist natürlich nie absolut. Man bewegt sich immer in einem Gefüge. Was hilft, ist ein Umfeld wie das mit Katharina – in dem man ohne Erklärung arbeiten kann.
Stimmt es eigentlich, dass Katharina Grosse Fußballfan ist?
Ja – sie sagt selbst, dass sie viel zu viel Fußball schaut. Ich spiele selbst aktiv, aber wir haben noch nie gemeinsam ein Spiel gesehen. Bei der Ausstellungseröffnung in den Deichtorhallen erzählte sie, dass sie sich mit der Spielweise des FC Barcelona beschäftigt hat, weil dort etwas Neues entsteht. Ich glaube, Katharina hat die Fähigkeit, Themen aus ganz unterschiedlichen Lebensbereichen wie Natur, Fußball oder Kochen mit ihrer Arbeit in Verbindung zu bringen.
Auf welcher Position spielen Sie Fußball?
Defensives Mittelfeld.
Passt das zu Ihrer Rolle als Musiker?
Ein bisschen schon. Viel laufen, viele Zweikämpfe, und am Ende kriegt es kaum jemand mit.
__________
Stefan Schneider begann nach seinem Abschluss in Fotografie an der Kunstakademie Düsseldorf eine Karriere in elektronischer Musik. Schneider ist Gründungsmitglied der Bands Kreidler und To Rococo Rot. Er hat mit vielen renmommierten Künstler*innen zusammengearbeitet und Konzerte in Europa, Algerien, USA, Japan, China, Kenia, Australien, und Malaysia gegeben. 2016 gründete er sein eigenes Plattenlabel TAL. Schneider lebt als Musiker und Produzent in Düsseldorf.
Ruben Jonas Schnell ist Musikjournalist und Gründer des Radiosenders ByteFM. Er studierte Musikwissenschaft und Amerikanistik in Freiburg, Eugene (Oregon) und Hamburg. Nach Stationen bei verschiedenen öffentlich-rechtlichen Sendern – u. a. beim NDR – gründete er 2008 ByteFM, heute eine der profiliertesten Plattformen für musikalische Vielfalt und unabhängigen Musikjournalismus in Deutschland. Schnell lebt und arbeitet in Hamburg.
Die Ausstellung KATHARINA GROSSE – WUNDERBILD ist noch bis zum 14. September 2025 in den Deichtorhallen Hamburg zu sehen.