Mykolaiv, 2022 © Robin Hinsch

»Ich zeige, was nach einem Angriff übrig bleibt«

Seit 2010 reist der Fotograf Robin Hinsch regelmäßig in die Ukraine. Auch während des russischen Angriffskriegs auf das Land war er vor Ort. Ein Gespräch über die Nähe zum Krieg, ästhetische Bilder und warum er sich als politischen Fotografen versteht.
VON GUNTHILD KUPITZ

10. Mai 2022

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Als am frühen Morgen des 24. Februar 2022 russische Truppen in die Ukraine einmarschieren, ist Robin Hinsch gerade für ein Projekt im thailändischen Udon Thani unterwegs. Zwölf Tage später, zurück in Hamburg, packt der 35-Jährige Kameras, Festplatten, Laptop plus ein paar Hosen, T-Shirts und Sweatshirts in seinen alten VW Caddy und bricht nach einer kurzen Nacht Richtung Ukraine auf. Erste Station seiner Reise ist Lwiw. Von dort geht es weiter über Ivano-Frankiwsk und Tscherniwzi nach Odessa und schließlich nach Kiew. Seit 2010 fotografiert Hinsch regelmäßig in der Ukraine; sein Langzeitprojekt »Kowitsch« entsteht dabei als »work in progress«. Im Rahmen der 8. Triennale der Photographie Hamburg zeigt er nun erstmals Auszüge daraus, darunter auch neue Aufnahmen.

Ukraine, 2022 © Robin Hinsch
Lviv, 2022 © Robin Hinsch

Immer wieder bist du wochenlang in der Ukraine unterwegs. Warum ausgerechnet in diesem Land?
Ich hatte 2010 einen Spiegel-Artikel gelesen, dass nach der Wahl des russlandtreuen Viktor Janukowitsch nun ein zweiter Diktator neben dem belarussischen Alexander Lukaschenko in Europa regiere und so ein neues Bollwerk zwischen Ost und West entstanden sei. Es gab zwar keinen Eisernen Vorhangs, aber doch so etwas wie einen undurchsichtigen Nebel: Wo hört der Westen auf und wo fängt der Osten an?

Verstehst du dich selbst als politischen Fotografen?
Ja. Auch wenn ich die Aussage eines Bildes nicht drauf schreibe – eine politische Botschaft haben sie immer. Fotografie ist im besten Fall auch dokumentarisch, aber objektiv ist sie nie. Es ist stets mein subjektiver Blick auf das, was ich an einem Ort sehe und erlebe, welchen Ausschnitt der Wirklichkeit ich auswähle. Und allein, dass ich mit meiner Kamera dort bin, verändert häufig die Situation. Schon damals rumorte es zwischen kosmopolitischen Großstädterinnen und den Menschen vom Land die nicht allzu viel mit den so genannten »westlichen Einflüssen« anfangen konnten. Diese deutlich spürbare Ambivalenz, vor allem im Donbas hatte eine ziemliche Sogwirkung auf mich.

Lviv Oblast, 2022 © Robin Hinsch

Wie nah bist du dem Krieg gekommen?
Ich war an den Stellungen, aber nicht dann, wenn wirklich gekämpft wurde. In der Regel nehmen die Soldaten einen nicht mit, wenn sie selbst angreifen oder die Gefahr eines Angriffs besteht. Das wäre viel zu gefährlich. Meistens gibt es eine Ansprechperson vor Ort, die einem bestimmte Gebiete und Zeitfenster vorgibt. Es ist wahnsinnig viel Warterei. Und manchmal, wenn man meint, die Situation sei doch total ruhig, fängt man das Diskutieren an, ob man nicht vielleicht doch da und da hingehen könne. Dann heißt es oft nur: Wenn du über diese Straße läufst, kommst du wahrscheinlich nicht zurück. Auch wenn ich mich mehr oder weniger an den Frontlinien bewege, fotografiere ich nie Verletzte oder Tote. Das sind wichtige Bilder, aber die machen andere. Ich fotografiere das, was nach einem Angriff übrigbleibt von einem Ort, einer Landschaft, ich zeige Menschen, die überleben. Ich finde das auf eine bestimmte Art und Weise wichtiger.

Warum?
Natürlich braucht es die Fotos von den Leichen in Butscha. Es braucht die grausamen Beweise, die Einzelschicksale. Unbedingt sogar. Doch ich glaube, um tiefer zu wirken, braucht es mehr als reine Information. Das ist der Ansatz, den ich verfolge. Ich will die Menschen in meine Bilder reinziehen, will sie anregen, sich mit ihnen zu beschäftigen: Ich will Identifikationsmomente schaffen. Deshalb versuche ich Bilder zu finden, von denen die Menschen, egal, woher sie stammen, beim Betrachten in einer Ausstellung spüren: Das könnte ich sein. Das könnte auch mir passieren.

Retroville, 2022 © Robin Hinsch
Kyiv, 2022 © Robin Hinsch

Wie ästhetisch dürfen oder müssen solche Fotos sein?
Sie sollen erschrecken, ganz klar. Aber sie müssen auch anziehend sein, damit sich die Menschen überhaupt mit ihnen beschäftigen wollen. Ich finde es immer gut, wenn Besucher einer Ausstellung sagen: Oh, das sieht aber gut aus – und dann erschüttert sind, wenn sie erkennen, um was es sich handelt.

So wie dein Foto von dem Schrapnell?

Ja, zum Beispiel. Diese Dinger sind messerscharf. Das Teil auf dem Bild stammt von einer Rakete und ist mit einer solchen Wucht gegen den Metallzaun geflogen, dass es ihn verbogen hat. Es dauert sehr lang, bis einem klar wird, was es ist und dass es Menschen töten kann. Aber ich glaube, genau dadurch ist die Wirkung noch viel heftiger. Das Foto ist sehr abstrakt und das klare Bild dazu wäre eine zerfetzte Person, aber so finde ich es stärker. Als Betrachter denke ich mir die Verletzung hinzu.

Schrapnell, 2022 © Robin Hinsch
Richard, Starytschi, 2022 © Robin Hinsch

Aus Kiew gibt es unter anderem eine Aufnahme von einem stark beschädigten Wohnhaus vor dem ausgebrannte Autowracks stehen. Was macht das Bild für dich so besonders?
Für mich kommt in diesem Foto ziemlich viel zusammen: der relativ große Krater, der zeigt, dass eine Granate da eingeschlagen ist; die Autos, die normalerweise dort nicht geparkt werden und vermuten lässt, dass Menschen noch versucht haben, damit zu fliehen, und die zwei Bewohner, die mit dem Aufräumen begonnen haben. Es zeigt zum einen das Ausmaß der Zerstörung, zum anderen aber mit den Männern auch Momente von Hoffnung, denn sie versuchen mit den Schäden zurechtzukommen und weiterzumachen. Das gilt auch für Richard, der mir sein Zimmer im Wohnheim zeigt.

Wie schaffts du es, dass sich die Menschen von dir porträtieren lassen?

Zu 99 Prozent entstehen solche Porträts, weil ich vorher länger mit den Menschen spreche. Ich versuche Zugang zu ihnen zu bekommen und frage sie anschließend auch, wo sie gerne fotografiert werden möchten. Ganz oft ist es so, dass die Menschen in ihrem Zuhause aufgenommen werden möchten. So war es auch bei Richard, der alleine lebte. Die meiste Zeit hatte er bis dahin im Keller verbracht, und war jetzt nur mit mir in die Wohnung gegangen. Es ist jetzt vielleicht nicht das große Hoffnungsbild und doch hat es etwas Trotziges. Das gefällt mir

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Robin Hinsch, Jahrgang 1987, hat in Karlsruhe, Hannover und Hamburg Fotografie studiert. Mit seiner Kamera bereiste er unter anderem den Irak, Syrien, Nigeria, China, Russland, Indien, Uganda und jedes Jahr die Ukraine. Seine Fotos werden unter anderem im Spiegel, der ZEIT und dem britischen Guardian veröffentlicht. Hinsch wurde für seine Arbeiten mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem World Photography Award, dem International Photography Award und 2021 den Gute Aussichten-Award.



Gunthild Kupitz ist Kunsthistorikerin und arbeitet als freie Journalistin und Textchefin in Hamburg.