Folge 3: Künstlerverdacht

7. November 2019

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Manche wollen unbedingt als Künstler gelten, andere hingegen wehren sich sogar mit Rechtsmitteln, als Künstler bezeichnet zu werden. Beides aber passiert aus Verwechslungsgefahr: Es ist ein Indiz dafür, dass das, was die Betreffenden machen, nicht eindeutig klassifizierbar ist. Am 19. November 2019 verkündete Rafael Horzon, Gründer des Möbelhauses Horzon, auf seinem Instagram-Account, »seit heute« dürfe »Wikipedia nicht mehr die Falschbehauptung verbreiten, ich sei Künstler oder Schriftsteller.« Vielmehr sei er »Unternehmer und Sachbuchautor«. Vorausgegangen war eine längere Auseinandersetzung.

Zuerst hatte Horzon den ihm gewidmeten Wikipedia-Artikel selbst immer wieder geändert und das Wort »Künstler« daraus entfernt; nachdem er deshalb gesperrt worden war, drohte er mit einer Unterlassungsklage, sieht er doch seinen Ruf als Möbelhersteller gefährdet, wenn Kaufinteressenten lesen, dass er Künstler ist. Dann, so sagte er in einem Interview, »nimmt man das Ganze vielleicht nicht mehr so ernst.«

Dem gegenüber steht jemand wie Leon Löwentraut. Einerseits ist er ein 21-jähriger Jungstar, schon 2015 als Wunderkind und neuer Picasso vorgeführt, dessen Vernissagen in Ibiza, Florenz oder Düsseldorf regelmäßig zu großen Events für seine vielen Fans geraten, andererseits aber leidet er darunter, dass Feuilletons, Kunstzeitschriften und Kritiker eisern über ihn schweigen, seine Bilder offenbar nicht für satisfaktionsfähig halten. Deshalb betont Löwentraut selbst umso öfter und umso nachdrücklicher, dass das, was er mache, Kunst und nichts als Kunst sei. Er sei »besessen von der Kunst«, sagt er in seinem jüngsten Video, und gerne zeigt er sich nachts, wie im Rausch malend, gleichsam als Super-Bohemien. Ihm gehe es darum, so die Aussage in einem anderen Video, »ernst genommen zu werden und museale Kunst zu schaffen«.

Horzon und Löwentraut – zwei Männer, die um Deutungshoheit kämpfen und Angst haben, man könnte sie falsch einordnen. Doch gerade dass sie so hartnäckig darauf beharren, Künstler bzw. Nicht-Künstler zu sein, bestärkt das Misstrauen. Und lenkt die Aufmerksamkeit auf das, was nicht zu ihrer Selbstbeschreibung passt.

Dass Löwentraut zu einer Vernissage etwa wie ein Pop-Sänger mit dem Heli eingeflogen wird, bei einer anderen Eröffnung hingegen aus einem Oldtimer steigt oder smart mit einem Roller um die Ecke kommt, widerspricht dem Bild des existenziell getriebenen Genies. Und wenn man auf der Website von Möbel Horzon Werbeslogans wie »Jetzt mit noch weniger Auswahl« oder eine »MOEBEL HORZON Diät« findet, die darin besteht, möglichst viel zuzunehmen, dann klingt das eben doch viel mehr nach Konzeptkunst als nach normalem Unternehmertum

In seinem 2010 publizierten Buch Das weiße Buch, das sich wie ein Schelmenroman liest, nun aber als Sachbuch gelten soll, führt Horzon gleich zu Beginn aus, wie ihm als Student nach einer Vorlesung von Jacques Derrida klargeworden sei, dass alles genauso gut etwas ganz Anderes – zum Beispiel »eine Ziege ein Bademeister« – sein könne. Es »steckte nicht in den Dingen selbst«, wie sie definiert würden. Begriffe und Einteilungen seien also willkürlich (»tyrannisierende Regeln«), von denen man sich freimachen müsse: »Von nun an war alles erlaubt. Von nun an wollte ich selber bestimmen, wie diese Welt zu sehen war.«

Treibt Horzon damit eine postmoderne Attitüde auf die Spitze, so verrät er aber zugleich, dass seine Behauptung, Unternehmer und nicht Künstler zu sein, keine sachlichen Gründe hat. Nur deshalb muss er sie auch so vehement verteidigen – verteidigen gegen eine Mehrheit, die es anders sieht als er. Und verteidigen vielleicht sogar gegen sich selbst. Ist sein Auftreten als Unternehmer denn nicht nur ein Spiel, eine Machtprobe und letztlich eine raffinierte Tarnung? Ist Horzon nicht gerade deshalb Künstler, weil er mit so viel Aufwand die Illusion erschaffen will, es nicht zu sein? Und wäre er daher nicht sogar ein schlechter Künstler, wenn man ihm das mit dem Unternehmer nicht glauben würde?

Aber vielleicht ist es generell so, dass gerade das Beharren auf einer umstrittenen Bezeichnung offenbart, wie fragwürdig diese ist. Verrät nicht auch Löwentrauts Künstler-Ehrgeiz, dass er zumindest ahnt, viel eher ein Pop-Star, Entertainer und Unternehmer als ein Genie zu sein? Und je mehr er sich zum Künstler erklärt, desto häufiger wird er vermutlich zum Nicht-Künstler gestempelt. Das aber wäre nur schlimm, wenn er mit seiner Rolle als Pop-Star nicht doch ziemlich zufrieden wäre. Gewiss würde er sie nicht aufgeben, um (zum Beispiel) mit Horzon zu tauschen und sich endlich auch kaum davor retten zu können, als Künstler angesehen zu werden. Genauso wenig aber dürfte Horzon mit Löwentraut tauschen wollen – dazu ist er eben doch viel zu gerne jemand, der den Verdacht nicht ausräumen kann, Künstler zu sein.

Wolfgang Ullrich, geb. 1967, lebt als freier Autor und Kulturwissenschaftler in Leipzig. Er publiziert zur Geschichte und Kritik des Kunstbegriffs, zu bildsoziologischen Themen und zur Konsumtheorie. Zuletzt erschien von ihm Selfies. Die Rückkehr des öffentlichen Lebens im Verlag Klaus Wagenbach. Mehr unter www.ideenfreiheit.de