Montage – Der zündende Funke zählt
25. März 2021
GRAFIK: HANNA OSEN
25. März 2021
Historisch gesehen, ist die Montage eine avantgardistische Strategie mit hohem Anspruch – bewusstseinserweiternd, gesellschaftsverändernd oder gar revolutionär. Doch sollte man grundsätzlich die technisch-funktionale Seite von dem kreativen Akt und der Wirkung unterscheiden. Oftmals wird im Zusammenhang mit der Montage auch die Collage und Assemblage erwähnt. Das führt häufig zu Verwechslungen. Dabei haben diese Techniken eines gemein: Es ist der zündende Funke, der zählt.
Der Begriff Collage kommt vom französischen coller, »kleben«. Druckgraphik und Fotos sind typischerweise ihre Materialien, Zeitungen und Zeitschriften ihre Medien. Sie ist ein Phänomen der Großstadtmoderne, der Plakatwände und Litfaßsäulen, die eine gleichzeitige Wahrnehmung von scheinbar Unzusammenhängendem ermöglichten. Berühmt sind die dadaistischen Collagen von Hannah Höch und Raoul Hausmann um 1920, in denen sie die Zeitläufte kommentierten und Politik und Gesellschaft mit beißendem Spott überzogen. Die Collage ist ein Krisenphänomen, eine Antwort auf eine aus den Fugen geratene Welt, der man im wahrsten Sinne mit Unfug begegnete.
Zwar fügten sich die Bildwelten der Collagen nicht mehr zu einem Heilen und Ganzen, doch bauten die Dadaisten aus den Trümmern eines durch die Kriegserfahrungen gestörten Sinnzusammenhangs neue, ungewöhnliche, eher assoziative als linearlogische Botschaften. Keine dadaistische Collage, die sich nicht »lesen« ließe. Ihre Bezüge sind vielfältig, die gedanklichen Bewegungen sprunghaft, was ihren intellektuellen Reiz ausmacht.
Collage, so sei zunächst einmal festgehalten, bezeichnet also zum
einen die Technik – das Schneiden und Kleben – und das Material –
Photographie und Druckgraphik, zum anderen aber auch eine inhaltliche
Dimension: Sie soll nicht einfach nur zusammengesetzt sein, sondern auch
so aussehen – man muss sehen können, dass die Versatzstücke aus
unterschiedlichen Kontexten kommen. Oder zumindest, wenn sie schon
gleicher Herkunft sind, dass ihre Zusammensetzung irgendwie nicht
»passt«.
Noch vor den Dadaisten hat Picasso bereits 1912 die erste Collage der Kunstgeschichte geschaffen. In sein Stillleben mit Rohrstuhlgeflecht
klebte er kurzerhand ein Stück Stuhlgeflecht, anstatt es zu malen. Oder,
genauer gesagt: ein Stück Wachstuch, das fotomechanisch mit einem
solchen Geflecht bedruckt ist. Was uns heute selbstverständlich scheint,
war damals eine Revolution: einen banalen Alltagsgegenstand in ein
Ölgemälde zu integrieren und das Ganze noch mit einem echten Tau
einzufassen anstelle eines schön vergoldeten Rahmens. Außerdem nutzte er
mit dem Wachstuch ein Stück Wirklichkeit, um Wirklichkeit darzustellen.
Damit rüttelte Picasso an zwei fundamentalen Kategorien der Kunst: dass
sie die Wirklichkeit nur nachahmt und dass sie sich von ihr
unterscheidet – sie ist sogar höherwertig, man spricht von der
»Hochkunst«.
Gegenständliches, gar Dreidimensionales ist aber eigentlich in der
Definition von Collage nicht vorgesehen. Hier passt der Begriff
Assemblage besser, der sich aus dem französischen assembler,
»zusammenfügen«, herleitet und auf alles angewandt wird, was sich im
weiteren Sinne aus Gegenständen und Gegenstandsfragmenten zusammensetzt.
Das reicht von den Merzbildern aus Alltagsabfall bei Kurt
Schwitters über die Materialassemblagen aus Blättern und Baumrinden bei
Jean Dubuffet bis hin zu den Objektassemblagen aus Brillen, Kannen oder
Uhren bei Arman.
Auch die Assemblage bezieht sich wie die Collage auf die Gattung,
beschreibt aber ebenso wenig wie diese die Wirkung dieser Werke, das,
was nicht »passt« und was wir auch immer mit meinen, wenn wir von
Collage sprechen. Das Stuhlgeflecht bei Picasso stammt ebenso wie die
kubistisch zersplitterten Versatzstücke einer Zeitung und eines
Trinkglases dem gleichen Zusammenhang, einer Pariser
Kaffeehaussituation. Was nicht passt, sind »Hochkunst« und Alltag, inhaltlich aber fügt es sich doch zu einem Ganzen.
Der Künstler Max Ernst hat sich deshalb über die funktionale
Verwendung des Begriffs mokiert und schlug eine Definition vor, die von
der Wirkung ausgeht: »Collage-Technik ist die systematische Ausbeutung
des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei
oder mehr wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu
ungeeigneten Ebene - und der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung
überspringt.« Kurz: Je weniger »passt«, desto größer der Funkenschlag.
Dabei ist es zweitrangig, ob diese Realitäten zwei- oder
dreidimensional sind und ob das Zusammentreffen nun durch Schneiden,
Stückeln, Kleben oder eine andere Art der Fixierung entsteht. Um diese
Festlegung auf bestimmte Gattungen und Techniken zu vermeiden, spricht
die Kunstgeschichte daher von Montage. Die Elemente der Montage können
in Bezug auf Gebrauchs- und Funktionszusammenhänge, auf Materialien,
Herkunft und Technik unterschiedlich sein. Entscheidend ist, dass
möglichst weit Auseinanderliegendes, äußerst Unwahrscheinliches, nicht
Zusammengehöriges kombiniert wird.
Max Ernst und andere Künstler des Surrealismus und Dadaismus wollten
nicht nur den Status des Kunstwerks und sein Verhältnis zur Wirklichkeit
angreifen wie Picasso, sondern gingen noch einen Schritt weiter: Sie
griffen die Logik des Dargestellten selbst an. Ihnen ging es um eine
regelrechte Sinnstörung, die durch den »Schock« ausgelöst wird, mit den
herkömmlichen Methoden des Verstehens zu scheitern. Das regt die
Phantasie an und öffnet neue Horizonte, da wir versuchen, uns auf das
Unpassende einen Reim zu machen.
Im Maschinenbau beschreibt die Montage das planmäßige Zusammenbauen
und arbeitsteilige Produktionsabläufe. Geradezu idealtypisch verband
sich daher für den »Monteur-Dada« Wieland Herzfelde im Prinzip der
Montage die Bildende Kunst mit einer von Arbeit, Industrie und Großstadt
geprägten Realität, die der bürgerlichen Auffassung diametral
entgegenstand.
Die Surrealisten wollten zudem das unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liegende Unbewusste an die Oberfläche holen.
Im Film bezeichnet Montage das dem Medium inhärente Prinzip der
Aneinanderreihung einzelner Einstellungen. Jeder Schnitt markiert einen
Wechsel. Wie in der Bildenden Kunst beschreibt diese Definition nur die
Technik, nicht aber die Wirkung. Der russische Regisseur Sergej
Eisenstein entwickelte in den 1920er Jahren daher die für die
Filmgeschichte wegweisende »Attraktionsmontage« oder »intellektuelle
Montage«. Sie sollte, wie bei Max Ernst, einen neuen Gedanken
provozieren, »der im Zusammenprall zweier voneinander unabhängiger
Stücke entsteht.« Auch hier ist also der »Schock« Moment der
Veränderung, doch zielte Eisenstein nicht nur auf die bürgerlichen
Kunstvorstellungen, sondern auf eine regelrechte Veränderung zum
sozialistischen Menschen.
Wie Picasso in seiner ersten Collage kann man Close-Ups und Totalen,
Rückblenden und Ausblicke im Film zu vielschichtigen Raum-Zeit-Gefügen
montieren, um eine Geschichte möglichst facettenreich zu erzählen.
Dieser – zwar komplexen, aber immer noch der Kontinuität verpflichteten –
Auffassung steht die der Kollision der »Attraktionsmontage« diametral
gegenüber. Miteinander unverbundene Inhalte werden so montiert, dass sie
sich gegenseitig kommentieren. Auch hier gilt: je heterogener, desto
größer die intellektuelle Herausforderung.
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Veronika Schöne ist Kunsthistorikerin, Autorin und Dozentin.
Sie schreibt Texte und macht Führungen, Seminare und Reisen zur Kunst.
Foto: Kurt Schwitters, Merzbild 25 A. Das Sternenbild, 1920. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Foto: Walter Klein, Düsseldorf