Foto: Julia Steinigeweg

»Ein Finger in der Wunde der Nachkriegsgesellschaft«

Durch sie wurde die deutsche Malerei zum Welterfolg: Das Frühwerk von Baselitz, Richter, Polke und Kiefer ist nun in der Ausstellung DIE JUNGEN JAHRE DER ALTEN MEISTER zu sehen. Ein Gespräch mit Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow über Befreiungsschläge, Ironie und das Schürfen in der Vergangenheit VON VERONIKA SCHÖNE

12. September 2019

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Georg Baselitz, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Anselm Kiefer. Vier Künstler, vier vollkommen verschiedene künstlerische Ansätze, sowohl ästhetisch als auch thematisch. Was verbindet diese vier miteinander?

Das verbindende Element ist der Erfolg, den die Künstler im Ausland gehabt haben. Der Schlüssel zu diesem Erfolg, das ist die These von Götz Adriani, der das Projekt initiiert und kuratiert hat, liegt in ihrem Frühwerk der 60er-Jahre begründet. Und da gibt es, trotz aller Unterschiede, doch wesentliche Gemeinsamkeiten. Da ist zum einen ihre Antwort auf die Nachkriegsmoderne. Alle vier meinten, die abstrakte, gestische Malerei sei ausgereizt. Sie passte nicht mehr zu dem, wie sie sich selbst und ihre eigene Zeit empfunden haben. Zum anderen ist es der Blick auf die deutsche Geschichte, den Nationalsozialismus, der in den 1960er-Jahren noch wie Blei über allem lag. Das Epochale an dieser Ausstellung ist, dass man inhaltliche Stränge hat, die man immer wieder aufgreifen kann. Gleichzeitig werden diese Inhalte aus vollkommen unterschiedlichen Haltungen und mit verschiedenen bildnerischen Sprachen behandelt.

Das sind jetzt drei unterschiedliche Aspekte: Die Erfolgsgeschichte, die Gegenpositionierung gegen die Abstraktion und die Aufarbeitung der deutschen Geschichte.

Alle drei Kriterien wirken zusammen. Die Frühwerke der vier reagieren auf die gestische Abstraktion der Nachkriegszeit – Baselitz etwa hat bei Hann Trier, Richter bei Karl Otto Götz studiert. Die gestische Abstraktion war eine Reaktion auf die politische Vereinnahmung der Kunst durch die Nationalsozialisten. Für die Künstler der 1950er-Jahre war die Abstraktion ein Befreiungsschlag. Die nachfolgende Generation rebellierte gerade dagegen. Sie holten die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus wieder in ihre Werke. Darin lag der Schock. Daran knüpft der gigantomane Bühnenmaler und Illustrator Anselm Kiefer an, der das Historienbild revitalisierte. Er wurde Ende der 1980er-Jahre zuerst in den USA als Künstler wahrgenommen, der die Erinnerung an die deutsche Geschichte wieder ins Bild setzte und sich an den deutschen Mythen und dem Zusammenwirken von deutscher Politik und Kultur abarbeitete.

Adriani schreibt im Katalog, dass frei nach Paul Celan nicht der Tod ein Meister aus Deutschland sei, sondern vielmehr die Kunst eine Meisterin aus Deutschland. Dies wurde ja kritisiert.

Ich habe mit Adriani darüber lange gesprochen. Mir schien, er war sehr unglücklich darüber, wie seine Aussage verstanden worden ist. Die Ausstellung zielt darauf ab, das unfassbare Grauen des Krieges und die Schuldfrage wieder in unsere Aufmerksamkeit zurückzubringen. Adriani will Celan keinesfalls negieren und er will schon gar nicht die deutsche Geschichte verharmlosen. Vielmehr zeigt die Ausstellung Kunst, die den Finger in die Wunde der Nachkriegsgesellschaft gelegt hat. Die Künstler setzen sich nicht nur mit der verdrängten Geschichte auseinander, sondern auch mit dem Verdrängen an sich.



















»Für die Künstler der 50er-Jahre war die Abstraktion ein Befreiungsschlag. Die nachfolgende Generation rebellierte gerade dagegen«
Anselm Kiefer. Heroisches Sinnbild VII, 1970, Öl auf Baumwolle (in der Mitte quer zusammengenäht), 119 X 158,5 x 3,5 cm, Sammlung Würth , Inv. 12189
© Atelier Anselm Kiefer

Das tun sie ja durchaus auf unterschiedliche Weise...

Das ist richtig. Zum Beispiel Polke mit seinen wunderbar humorvollen Reflektionen darüber, wie das deutsche Heim in der Wirtschaftswunder-Ära eingerichtet war: mit dem Dürer-Hasen, den gemusterten Dekostoffen oder den exotischen Flamingos. Interessant auch, wie Polke die moderne Kunst gegen sich selbst ausspielt, wie etwa in dem Bild »Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!«. Das schwarze Dreieck erinnert nicht nur an konkrete Kunst, sondern auch an Hitlers typische Frisur. Das ist sehr raffiniert und tut gleichzeitig weh. Polke ist ein Meister der Ironie. Die Medienreflektion in seinen Rasterbildern kann man auch mit der fotobasierten Malerei von Gerhard Richter vergleichen. Darin unterscheiden sich beide von den expressiveren Ansätzen, die man in den Werken von Baselitz und Kiefer findet. Das Schürfen in der Vergangenheit verbindet letztere, etwa auch ihr Bezug zur Landschaft. Baselitz‘ gebrochene Helden, abgerissene Gestalten, die verloren in einem ruinierten Niemandsland herumstehen, sind das Gegenteil der Heldendarstellung des Dritten Reiches.

Und wie ist es bei Richter?

Richter ist in erster Linie am Bild interessiert. Die expressive Emotionalität eines Baselitz ist bei ihm nicht zu finden. Er ist der große Illusionist mit dem für ihn typisch verwischten Sfumato. Richter modernisiert die Malerei zwischen Fotografie und autonomer Farbsetzung. Damit befreit er die Malerei vom Zwang des Gestaltens, wie er sagt. Wie Polke in seinen Rasterbildern geht Richter mit bereits publizierten Bildern um.

Die Triebfeder, sich mit der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen, hat also dazu geführt, dass jeder der vier seine spezifische Ästhetik entwickelt, für die er dann später berühmt geworden ist?

Genau, aber dabei wollten die Künstler gar nicht unbedingt politisch sein, sondern suchten nach neuen Wegen, etwas anderes in der Malerei zu schaffen. Es war besonders provokant in der traditionsreichen Gattung Malerei, den Betrachter mit der deutschen Schuldfrage zu konfrontieren. Aber alle vier Künstler gewannen durch die Beschäftigung mit der deutschen Vergangenheit und deren Verdrängung eine Souveränität und Tiefe, die es ihnen erlaubte, besonders komplexe, richtungsweisende Werke zu entwickeln.

Götz Adriani und Dirk Luckow (v.l.), Foto: Julia Steinigeweg

Mit welchem Anspruch ist die Ausstellung entstanden?

Der Kurator Götz Adriani hat, wie er selbst sagt, eine durchaus subjektive Auswahl getroffen. Er spricht im Katalog als Zeitzeuge mit anderen Zeitzeugen. Sein eigenes Berührtsein kommt in den Gesprächen ja immer wieder zum Ausdruck. Er erwähnt wiederholt die »vaterlose Generation« und eine Jugend, der viele Träume verwehrt geblieben sind. Wenn die Ausstellung eine junge Kuratorin oder ein junger Kurator realisiert hätte, wäre sie naturgemäß ganz anders und aus einer größeren Distanz heraus entstanden. Adriani hat die Werke der vier Künstler mit seiner eigenen Geschichte verknüpft. Außerdem ist er ein langjähriger Weggefährte der Künstler, hat sie zum Teil seit Jahrzehnten auch ausgestellt, und dadurch ein besonderes Vertrauensverhältnis zu ihnen. Dies hat die Ausstellung in dieser Form erst ermöglicht.

Warum werden in der Ausstellung – mal wieder, möchte man fast sagen – ausschließlich Männer gezeigt?

Das ist eine gute Frage, die wir uns selbstverständlich auch gestellt haben, sind wir doch an einer Ausgewogenheit zwischen Künstlerinnen und Künstlern in unserem Programm interessiert. Im Fall dieser Ausstellung liegt das schon in der Thematik begründet, die die Nachkriegszeit beleuchtet: die Beschäftigung mit dem männliche Heldenkult des Nationalsozialismus, dem Verlust der Väter, die männlich besetzte Malereigeschichte – alles Männerthemen, an denen sich die vier Künstler abarbeiten. Die Frauen treten mit Macht in den späten 1960er-Jahren auf den Plan, unter anderem in innovativen Disziplinen wie Performance und Video.

Die Frühwerke dieser vier Künstler werden umfangreich mit über 100 Werken vorgestellt. Wie ist die Ausstellung in Hamburg aufgebaut?

Die Deichtorhallen bieten ganz andere Räumlichkeiten als die Staatsgalerie Stuttgart, wo die Ausstellung zuerst zu sehen war. Zwar haben wir auch einen Parcour von Baselitz über Richter und Polke bis hin zu Kiefer. Zugleich gibt es eine markante Raumöffnung in ihrem Zentrum, von wo aus alle vier künstlerischen Positionen überblickt werden können. Uns war außerdem wichtig, erläuternde Texte in die Ausstellung zu den einzelnen Werken hinzuzufügen. Dabei legten wir den Akzent auf die künstlerische Kommentierung. Die Malerei kommt in diesen großzügigen Räumen einmal mehr voll zur Geltung.

DIE JUNGEN JAHRE DER ALTEN MEISTER ist bereits die zweite Ausstellung in diesem Jahr, die extern kuratiert wurde. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Für die vorangegangene Ausstellung HYPER! A JOURNEY INTO ART AND MUSIC konnten wir mit Max Dax einen Szene-Insider als Kurator gewinnen, der in engem Kontakt mit den Künstlern steht. Ich fand es interessant, für DIE JUNGEN JAHRE DER ALTEN MEISTER erneut eine subjektive Sicht, jedoch aus einer ganz anderen Generation, auf die Kunst zeigen zu können. Nach den »Alten Meistern« zeigen wir übrigens mit JETZT! JUNGE MALEREI IN DEUTSCHLAND ein Kooperationsprojekt, das den Blick auf den gegenwärtigen Stand der Malerei lenkt.

Die Ausstellung BASELITZ – RICHTER – POLKE – KIEFER. DIE JUNGEN JAHRE DER ALTEN MEISTER ist noch bis zum 5. Januar in den Deichtorhallen Hamburg zu sehen.
















»Götz Adriani hat die Werke der vier Künstler mit seiner eigenen Geschichte verknüpft. Er spricht als Zeitzeuge mit anderen Zeitzeugen«

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