© Thies Rätzke

Tränen, Models und Videos

In ihren Werken beschäftigt sich Britta Thie mit der Selbstdarstellung im digitalen Zeitalter. Ihre Kunst ist ein Generationenporträt zwischen Nostalgie und nervöser Gegenwartsbegeisterung VON ANIKA MEIER

9. Mai 2019

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Richard, der Galerist, hat zwei Frauen in seinem Programm. Aus Quotengründen, versteht sich. Die eine Künstlerin malt große, traurige Bilder über Einsamkeit in Zeiten des Internets. Die andere war erst Model, jetzt ist sie Künstlerin, deshalb macht sie Videokunst über Models und Internet.

Richard ist eine Figur im Berliner Kunstwelt-Roman M des Autorinnenduos Anna Gien und Marlene Stark. Als Leser habe man oft das Gefühl, steht in der Rezension zum Buch in der Süddeutsche Zeitung, es werde gegen jemanden ausgeteilt, nur als Außenstehender verstehe man nicht gegen wen. Wenn man sich an den Spekulationen beteiligen wollen würde, fiele die Zuordnung in diesem Fall nicht so schwer. Man muss sich nur ein bisschen mit Kunst auskennen. Gemeint sein könnte die deutsche Medienkünstlerin Britta Thie. Selbst in der Wikipedia steht über sie: »Britta Thie ist eine deutsche Künstlerin, die auch als Model und Schauspielerin arbeitet.«

Thies Kunst ist im Internet und in ihrer Kunst ist das Internet. Und mit dem Geld läuft es bei ihr auch nicht so optimal, das gab sie kürzlich selbstbewusst im Interview zu. »Es ist immer noch ein struggle«, sagt sie da, es sei für sie nämlich immer ein Kampf gewesen, genug Geld zu verdienen und am Ende des Monats noch welches zu haben. Deshalb überhaupt hat sie mit dem Modeln mit 20 Jahren angefangen. Sie studierte Kunst, das ist teuer, also wurde sie Model. Bald merkte sie, dass die Kombination Künstlerin und Model ihr Alleinstellungsmerkmal ist. Der Nebenjob floss genau so bald in ihre Kunst ein, später wurde sie als Model gecastet, weil sie Künstlerin ist.










»Thies Kunst gehört dorthin, wo digitale Identitäten an- und ausgezogen werden wie peinliche Partyoutfits – auf Instagram und YouTube«

Für die Modewelt ist diese Kombination sexy, die Vogue widmete ihr gerade ein Künstlerporträt. Für Kunstkritiker*innen ist diese Kombination bisweilen schwierig, da scheint es jemandem an Ernsthaftigkeit zu mangeln. In einem ihrer bekanntesten Videos greift sie auf die Anweisungen eines Fotografen aus einem Shooting zurück; sie sitzt ungerührt da und feuert Befehle wie »Mehr Energie ins Kinn!« und »Arrogant leiden ab!«, während sie selbst in der zweiten Rolle ausführt, in der des Models.

Britta Thie hat sehr früh, schon während des Studiums an der UdK in Berlin bei Hito Steyerl, ihr Thema gefunden. »Videokunst über Models und Internet«, das trifft es, greift aber als Beschreibung maximal in einem Smalltalk als Antwort auf die Frage: »Britta Thie, das war nochmal?« Antwort: »Die mit den Videos, den Models und dem Internet.« Britta Thies Kunst ist ein Generationenporträt. Autor*innen werden ja nicht gern als die Stimme ihrer Generation bezeichnet, weder Ronja von Rönne, noch Sophie Passmann fühlen sich von dieser Zuschreibung geschmeichelt, weil damit eine große Verantwortung verbunden ist.

Über ihre Generation aber spricht Britte Thie ständig. Mal spricht sie über die »Nabelschau-Generation«, mal über die »Start-up-Generation«. Das war noch vor Trump, als man gemütlich in der eigenen Bubble in Berlin herumschwimmen konnte und es okay war, dass sich alles um einen selbst dreht. In der Webserie Translantics, die in der Bubble in Berlin und in Frankfurt, in ihrer Heimat in Minden und am Karriere-Sehnsuchtsort New York spielt, drehen sich alle permanent um sich selbst. BB, Künstlerin und Model, ist so sehr mit sich und ihrer eigenen Happiness beschäftigt, dass ihr eine höfliche Absage bei einem Casting entgeht. BB geht shoppen und steht plötzlich ohne Unterkunft in New York auf der Straße. Drama, Tränen, Verzweiflung.

Thies Thema ist Selbstdarstellung im digitalen Zeitalter, also gehört ihre Kunst dorthin, wo digitale Identitäten an- und ausgezogen werden wie peinliche Partyoutfits – auf Instagram und YouTube. Sie schwingt zuverlässig wie ein Pendel zwischen nostalgischer Verklärung der Vergangenheit, naiver Begeisterung für die Gegenwart und nervöser Vorfreude auf die Zukunft hin und her.

Wenn Thie über sich selbst und ihre künstlerische Arbeit spricht, fällt in Interviews schnell das Schlagwort »Digitale Pubertät«. Thie hat dafür eine eingängige Erklärung gefunden: Als Kind der 80er Jahre ist sie im Vergleich zu den Digital Natives nicht mit dem Internet aufgewachsen. Sie ist vielmehr, wie die westliche Gesellschaft, von analog zu digital pubertiert. In der Pubertät findet man heraus, wer man selbst ist und wie man sich zur Welt verhält. Kathrin Passig, eine Vordenkerin des digitalen Zeitalters, geht davon aus, dass man aus der Internetpubertät so leicht nicht herauswachsen kann, weil neue technologische Entwicklungen immerzu neue Aufgabenstellungen mit sich bringen. Thies Kunst wächst mit ihrer Generation und mit dem Internet.

Als Kind drehte Thie in ihrem Kinderzimmer Hi8-Videos, die sie nach und nach digitalisiert, um sie in ihren Arbeiten wie in Hi, HD verwenden zu können. Die sehr junge Britta Thie ist zu sehen, wie sie zu Hause die Talk-Show Britta aufzeichnet, das Thema: »Penner«. Dann springt das Video in die Gegenwart zu Screens und Kommunikation, zum Streicheln des Touchscreens und zur Coolness numerischer Textnachrichten-Poesie. »Analoges Kleinsein. Medienpubertät. Digitale Schwemme. Selbst-Nostalgie...coming soon...coming 2nite«, verspricht Thie am Ende.









»Als Kind der 80er Jahre ist Britta Thie im Vergleich zu den Digital Natives nicht mit dem Internet aufgewachsen. Ihre Kunst wächst mit ihrer Generation und mit dem Internet«

Die Stärke von Britta Thie ist, dass sie sich nicht in Selbst-Nostalgie und Nabelschau verliert, ganz im Gegenteil, sie denkt und arbeitet mit der Generation Z. In der Ausstellung HYPER! A JOURNEY INTO ART AND MUSIC in den Deichtorhallen hat sie Bänke aufgebaut, die an Sitzgelegenheiten aus Shopping Malls erinnern. »Eigentlich ist die Shopping Mall ein Phänomen der Neunzigerjahre, aber durch diese digitale Ebene hat sie erneut eine Relevanz bekommen – die Mall ist zum warmen Ort mit Strom geworden, zu einer Komfortzone, in der man stundenlang abhängen und das Handy aufladen kann«, sagt sie im Interview mit dem Kurator Max Dax.

Auch an ihren Powerbanks in der Ausstellung können Smartphones geladen werden und auch ihre Bänke pubertieren mit Wülsten und Ausbuchtungen vor sich hin wie die Jugendlichen, die in Malls auf ihnen sitzen und ihre Instagram-Stories posten. Während Thie damals allein in ihrem Kinderzimmer vor sich hindrehte und tanzte, filmen sich Jugendliche heute gegenseitig mit ihren Smartphones, die Kamera und Screen zugleich sind. Britta Thie bleibt dran an der Pubertät – irl und online.

Anika Meier ist freie Autorin. Für das Magazin Monopol schreibt sie eine Kolumne über Kunst und Soziale Medien. Zuletzt hat sie die Einzelausstellung Reflexxxions von Signe Pierce im Lab von Eigen + Art und die Gruppenausstellung Virtual Normality. Netzkünstlerinnen 2.0 im Museum der bildenden Künste Leipzig kuratiert.

Die Ausstellung HYPER! A JOURNEY INTO ART AND MUSIC ist bis zum 4. August in der Halle für aktuelle Kunst zu sehen.


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