© Paolo Pellegrin/Magnum Photos

Über die Schmerzgrenze

Für ihre Arbeit begeben sich Kriegsfotografen immer wieder selbst in Gefahr. Auch wenn ihr Blick auf Leid und Zerstörung unterschiedlich ausfällt – sie alle eint der Wunsch, mit ihren Bildern Zeugnis über das Geschehene abzulegen. VON MARC PESCHKE

24. Februar 2020

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Der Fotograf Paolo Pellegrin ist für seine Kriegsberichterstattung bekannt, seine Fotos aus internationalen Krisenregionen wurden mit wichtigen Preisen ausgezeichnet. Seinen ersten von insgesamt zehn World Press Photo Award erhielt er 1995 für eine Serie über AIDS in Uganda. Pellegrin fotografierte die Konflikte im Kosovo, in Darfur und im Libanon.

»Aufzeichnungen für unser kollektives Gedächtnis zu schaffen«, so hat Paolo Pellegrin sein fotografisches Ziel einmal bezeichnet. Ein glaubwürdiger Zeuge zu sein, für das, was er sieht. Doch seine Fotos und schriftlichen Erfahrungsberichte sind mehr als nüchterne Zeugnisse. Wenn Pellegrin Kriegs-Situationen fotografiert – denken wir etwa an sein berühmtes Schwarzweißbild, dass Zivilisten zeigt, die nach Überlebenden nach einem israelischen Luftangriff im südlichen Beirut suchen – tritt in seinen Arbeiten die grausame Wirklichkeit in einen Dialog mit den Mitteln des Fotografischen wie Komposition, Graustufen und Unschärfe.

Pellegrin selbst versteht seine Fotografie als »offen«, wenn er schreibt: »Unfertige Fotografie interessiert mich mehr, ein andeutendes Bild, das eine Diskussion oder einen Dialog auslösen kann. In geschlossene, fertige Bilder gibt es keinen Weg hinein.« Dem gegenüber steht sein Interesse an Form, an Struktur, auch an der Geschichte des Bildes selbst. Er ist auf der Suche nach Schönheit.

Fotos aus dem Irak in der Ausstellung PAOLO PELLEGRIN – UN'ANTOLOGIA im Haus der Photographie. Foto: Henning Rogge/Deichtorhallen Hamburg

Nicht nur das Foto selbst, auch die Art der Präsentation der Bilder deutet darauf hin, wie stark Pellegrin, der Kunstgeschichte und Architektur studierte, seine Arbeiten ästhetisiert, ihnen kompositorische Eleganz verleiht. Ein im Jahr 2000 in Pristina im Kosovo fotografiertes Bild zeigt einen Schwarm von Krähen über einem Friedhof, ein kompositorisch genau austariertes Drama in sattem Schwarzweiß.

Ein anderes Bild zeigt die verheerenden Zerstörungen der Reaktorkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011: Zerborstene Mauern ragen majestätisch aus dem Wasser in einer apokalyptischen, menschenleeren Landschaft. Im Hintergrund sind die Berge der Nordküste Japans und ein klarer Himmel zu sehen.

Nicht die nüchterne Darstellung der Katastrophe scheint sein Anliegen, vielmehr ist es die ikonische Ästhetik der Katastrophe, die ihn fasziniert. Pellegrins Bilder des Krieges, der Armut und der Umweltzerstörung stehen damit auch in einer kunsthistorischen Tradition. Der Fotograf selbst hat die Kunstfertigkeit Francisco de Goyas und dessen virtuose Darstellung von Kriegsgräuel als Einfluss benannt.

Stets will Pellegrin die Schönheit in Momenten des Schreckens offenbaren – auch in jener Szene, in der ein Vater nach einem Bombenangriff im Libanon seine tote Tochter findet. Ein ganz einfaches, starkes Bild ist jenes einer Aluminiumdecke, die Pellegrin in einem Flüchtlingslager auf der Insel Lesbos fotografiert hat. Pellegrin zeigt den weggeworfenen Fetzen als Sinnbild für das Schicksal von Flüchtlingen, ihrer Flucht über das Mittelmeer und das menschenunwürdige Leben in den Notunterkünften. Es ist eine bildmächtige Metapher, die den machtlosen Menschen zeigt, ohne ihn selbst ins Bild zu bringen.

Paolo Pellegrin: A thermal blanket. Lesbos, Greece, 2015. © Paolo Pellegrin/Magnum Photos/Agentur Focus

Gelegentlich ist dem Fotografen vorgeworfen worden, er stelle die Künstlichkeit des Mediums Fotografie zu wenig aus. »Pellegrin glaubt tatsächlich«, schreibt Falk Schreiber in der taz, »die Welt durch seine subjektive Kamera abzubilden. Im Grunde behauptet jede Aufnahme der Ausstellung eine Wahrheit, die doch nur eine Bestätigung der eigenen Vorstellung darstellt.« In der Ausstellung UN’ANTOLOGIA wird Pellegrins sich stetig verändernde Positionierung durch die einem Eisberg nachempfundene Installation aus Video, Fotos, Flyern, Skizzen und Zeitungsausschnitte greifbar: Er will Chronist und Künstler zugleich sein. Die Ausstellung erzählt somit auch von den Schwierigkeiten des Fotografen, Geschehnisse einzufangen, zu ordnen, zu kategorisieren.

Einen ganz anderen Ansatz als Pellegrin verfolgt der Kölner Fotograf Christoph Bangert, der von sich behauptet: »Ich bin der, der alles fotografiert hat.« Bangert kritisiert die »Selbstzensur« der Kriegsfotografen und Bildredakteure. Aber auch den Betrachter schließt Bangert in seine Kritik mit ein: »Sie fürchten, Hinschauen könnte voyeuristisch sein. Sie fürchten sich vor der eigenen Furcht. Sie verwechseln Pietät mit Nichtwissenwollen.«

Bangerts Bilder kennen keine Schmerzgrenze. »Fast alle meine Kollegen, die in Krisengebieten arbeiten«, so Bangert, »haben Massen solcher Bilder. Sie liegen auf unseren Festplatten, ungedruckt. Dabei sind auch das nur Ausschnitte der Realität, unvollständige Momentaufnahmen des wahren Chaos.«

War Porn heißt Bangerts 2014 erschienenes Fotobuch, das kontrovers diskutiert wurde. Es zeigt drastische Bilder, die so nie veröffentlicht werden: Folteropfer, geköpfte Menschen, Blutlachen. Der pure Horror, ein Experiment ohne Selbstzensur, wie sein Verlag mitteilt. Es sei seine Pflicht, das Gesehene zu veröffentlichen, sagt Bangert. »Ich kann den Horror aus den Horrorbildern nicht eliminieren.«

© Christoph Bangert. Courtesy Kehrer Verlag

Im Gegensatz zu Pellegrin interessiert sich Bangert nicht für die Schönheit, ihm geht es ausdrücklich um den Schock und den Schrecken. Der Bildbetrachter habe die Pflicht, sich auch die schlimmsten Bilder anzusehen, denn auch diese Ereignisse haben stattgefunden, meint der Fotograf. Veröffentlicht aber würden nur die zumutbaren Bilder, die kaum noch Wirkung beim Betrachter zeigten.

Susan Sontag schreibt in ihrem Buch Das Leiden anderer betrachten, dass keine Fotografie vermitteln kann, was Krieg bedeutet. Dennoch bleibe es, so Sontag, die richtige Entscheidung, im Krieg zu fotografieren. Bilder des Krieges, so urteilt Sontag, sind eine »Aufforderung zur Aufmerksamkeit, zum Nachdenken, zum Lernen«. Der amerikanische Kriegsfotograf James Nachtwey, dessen Fotos über den Jugoslawien-Krieg und den Konflikt im Sudan weltweit veröffentlicht wurden, formuliert es so: »Die Geschehnisse, die ich aufgenommen habe, sollen nicht vergessen und dürfen nicht wiederholt werden.«

Für dieses Ziel nehmen Fotograf*innen ein hohes Risiko in Kauf, bringen sich immer wieder selbst in Lebensgefahr. Nachtwey wurde in Thailand 2014 angeschossen, wo er Proteste in Bangkok fotografierte. Pellegrin geriet während seiner Zeit im Libanon-Krieg unter Beschuss und wurde durch ein Schrapnell verletzt. »Ich hätte mich die meiste Zeit meines Lebens von Gefahren fernhalten können, aber ich habe mich immer zu Menschen in schwierigen Situationen hingezogen gefühlt«, so beschrieb die deutsche Fotojournalistin und Pulitzerpreisträgerin Anja Niedringhaus ihre Arbeit. Im April 2014 kam sie mit nur 48 Jahren in Afghanistan bei einem Attentat ums Lebens.

Vielleicht ist es das, was die so unterschiedlicher fotografischer Haltungen verbindet. Pellegrin, Bangert, Nachtwey, Niedringhaus sie alle fühlen sich hingezogen zu denen, die machtlos sind und Leid erfahren. Ihre Bilder sagen: Das muss endlich ein Ende haben.

Marc Peschke, 1970 geboren, Kunsthistoriker, Autor und Künstler, lebt in Wertheim am Main und Hamburg. Seit 2008 zahlreiche eigene Ausstellungen im In- und Ausland.

Die Ausstellung PAOLO PELLEGRIN – UN'ANTOLOGIA ist noch bis zum 1. März 2020 im Haus der Photographie zu sehen.


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