Druckgrafik – Print it!

Wer sich mit Kunst und Fotografie beschäftigt, findet vieles erklärungsbedürftig. BASICS stellt Begriffe und Techniken vor, die jede*r kennen sollte. VON IRIS HAIST

25. März 2021

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Kindern ist der Umgang mit Druckstöcken nicht fremd. Viele von uns haben Kartoffeldruck im Kindergarten ausprobiert oder im Kunstunterricht den Linolschnitt gelernt. Dabei handelt es sich um ein erstes bedeutsames Druckverfahren für den künstlerischen Gebrauch: das Hochdruckverfahren. Hierbei werden die erhabenen Teile des Motivs eingefärbt und auf den Bildträger (Papier, Karton, Holz, Metall, etc.) gedruckt.

Der Hochdruck ist das älteste unter den künstlerischen Druckverfahren. Der Einblattholzschnitt geht mindestens bis ins Jahr 1400 zurück und erleichterte zunächst den klerikalen Schreibern von kirchlichen Handschriften die Ausschmückung der von ihnen angefertigten Bücher sowie das Herstellen von Votiv- und Heiligenbildern.

Die Kombination von Drucken, Originalität und Vervielfältigung, Buchkunst, der Verbindung von Schrift und Bild – aber auch verderblicher Materialien – ist auch in der Kunst des deutsch-schweizerischen Künstlers Dieter Roth zu finden, dessen druckgrafisches Werk derzeit in der Sammlung Falckenberg der Deichtorhallen Hamburg zu sehen ist.

Ausstellungsansicht DIETER ROTH – GEPRESST GEDRÜCKT GEQUETSCHT in der Sammlung Falckenberg. Foto: Henning Rogge

Das Wort Grafik stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet »zeichnende/malende [Kunst]«. Das Wort Druckgrafik bezeichnet also etwas Gezeichnetes bzw. Gemaltes, das durch eine Vielzahl verschiedener historischer und moderner Drucktechniken entstehen kann. Es handelt sich grundsätzlich um Techniken, die in mindestens zwei Phasen entstehen: erstens im Bezeichnen oder Bemalen des Druckstocks und zweitens dem eigentlichen Druckvorgang.

In den dabei entstehenden Drucken verschwinden die »Fingerabdrücke« der Künstler*innen oftmals völlig, während sich die Entwicklungsschritte in den vorangehenden Zeichnungen
oft noch finden lassen. Pentimenti (ital. für fehlerhafte, »bereute« Striche) werden meist zuvor ausradiert und das Motiv auf diese Weise bereinigt. Die Korrektur ist im fertigen Druckerzeugnis nur noch zu sehen, wenn die Künstler*innen sie für wichtig für das fertige Werk
befinden.

Sind Drucke also in diesem Sinne »perfekter« als Zeichnungen? Nimmt man die ursprüngliche Bedeutung des Wortes und fragt nach dem Grad des Fertigseins, dann vermutlich schon. Es geht jedoch vor allem um eine andere Art des künstlerischen Ausdrucks, die je nach Technik roher, filigraner, natürlicher, artifizieller sein kann. Druckgrafiken bergen auch immer die Möglichkeit der Vervielfältigung. Die Auflage des theoretisch reproduzierbaren Endprodukts und der Grad der manuellen Bearbeitung desselben nach dem Druckprozess entscheiden darüber, ob es sich letztendlich um ein Unikat oder um ein Multiple handelt. Solange der Druckstock existiert, kann das Motiv grundsätzlich vervielfältigt werden. Dabei kann es zu Veränderungen kommen: Die Künstler*innen können etwa Linien wegnehmen oder hinzufügen, Gegenstände aussparen oder dazugeben. So entstehen je nach Veränderung neue Werke mit veränderter Wirkung und Aussage.

Dieter Roth, 1 von 6 Piccadillies, 1969-1970, Siebdruck, 1-24 Farben über Flachdruck (Offset), 50 x 70 cm, Auflage: 150 nummeriert und signiert, 15 A.P. © Dieter Roth Foundation, Hamburg / Courtesy Hauser & Wirth

Doch während von den Künstler*innen selbst hergestellte beziehungsweise von ihnen überwachte und zur Kunst erhobene Drucke eben genau das sind – Kunst –, ist die »Reproduktionsgrafik« nicht viel mehr als eine simple Vervielfältigung der zuvor erdachten und als Kunst umgesetzten Motive. Während die Künstler*innen die Druckgrafiken in den meisten Fällen signieren und nummerieren, dient die Reproduktionsgrafik der reinen Verbreitung.

Gleichzeitig kann Vervielfältigung allerdings auch eine künstlerische Methode sein. Das Motiv kann mehrfach gedruckt werden und diese einzelnen reproduzierten Drucke dann in einer sequenziellen Anordnung zu einem neuen Ganzen vereint werden. Diese Wiederholung macht dabei einen wichtigen Teil der Gesamtwirkung aus. Ein wichtiges Beispiel in der Kunstgeschichte ist Andy Warhols Serie Death and Disaster aus dem Jahr 1963.

Neben dem zu Beginn erwähnten Hochdruckverfahren existieren vor allem zwei weitere traditionelle drucktechnische Gruppen, die für die Kunstproduktion wichtig, ja unverzichtbar geworden sind: der Tiefdruck und der Flachdruck. Beim Tiefdruck (ab ca. 1420) erscheinen nach dem Druckvorgang – entgegengesetzt zum Hochdruck – die tiefergelegenen Partien des Druckstocks farbig auf dem Bildträger, z.B. bei den Stahlstichen von Stundenbüchern und Bibeln oder bei Albrecht Dürers Melancholia von 1514. Zum Flachdruck, bei dem alle Partien, sowohl die eingefärbten als auch die ausgesparten, auf einer Ebene des Druckstocks liegen, gehört die Lithografie (ab 1789). Sie fand unter anderem für die filigran ausgeschmückten, beinahe wie handgezeichnet wirkenden Plakate des Jugendstils Verwendung. Große Liebhaber der Lithografie waren Künstler wie Honoré Daumier (schwarz-weiß) und Henri de Toulouse-Lautrec (farbig).

Henri de Toulouse-Lautrec, Moulin Rouge: La Goulue, Poster (1891)

In moderneren Zeiten wurden der Durchdruck – allen voran der Siebdruck – und sämtliche individuelle Techniken wie die Monotypie und der Klischeedruck hinzugefügt und von wichtigen Vertretern etwa der Popkunst wie Andy Warhol, Roy Lichtenstein und Robert Rauschenberg genutzt. Die Künstler verwendeten dafür feine Siebe, Schablonen und Glasklischees, und arbeiteten so wieder hin auf den handgefertigten Künstlerdruck als Einzelstück – auch wenn sich die Motive wiederholten.

Längst ist das Prinzip der Vereinfachung der künstlerischen Arbeit nicht mehr der ausschlaggebende Faktor für die Wahl des Drucks. Je weiter man in die Gegenwart hineingeht, desto seltener wird nur eine der genannten Drucktechniken von Künstler*innen genutzt; oft nicht einmal innerhalb eines Kunstwerks. Der Trend geht spätestens ab den 1960er Jahren zum Stil-, Material- und Technikmix. Kunstschaffende, die vor ihrer Künstler*innenkarriere zu Gebrauchsgrafiker*innen ausgebildet wurden, wie zum Beispiel Andy Warhol und Dieter Roth, waren naturgemäß besonders flexibel in der Wahl der von ihnen verwendeten Drucktechniken. Es ist eben diese Vielfalt, die das Werk vieler moderner Grafikkünstler*innen ausmacht.

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Iris Haist ist promovierte Kunsthistorikerin und Autorin. Sie studierte europäische Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Religionswissenschaft in Heidelberg, 2015 folgte eine Promotion an der Universität Bern und an der Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut in Rom.


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