Fäuste nach vorne

Lauren Greenfields virale Kampagne #LikeAGirl feiert die weibliche Selbstermächtigung. Im Netz hingegen sorgt das Video für Kritik und Wut. Dabei lässt der Spot ein entscheidendes Thema unausgesprochen VON NINA LUCIA GROSS

17. April 2019

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Das Set-Up von Lauren Greenfields Video #LikeAGirl ist einfach: Jeweils eine Person steht vor ihrer Kamera, hinter ihr der Blue Screen. Dann erfolgt eine Regieanweisung von Greenfield: »Show me what it looks like to run like a girl«. Eine junge Frau wirft beim Laufen die Hände in die Luft und macht sich Sorgen um den Sitz ihrer Haare, ein Junge trippelt gekünstelt auf Zehenspitzen, ein Mann wirft die Beine unkoordiniert nach hinten. »Show me what it looks like to fight like a girl«. Ängstliche Raubkatzen-Imitationen, nervöses Kichern. »Show me what it looks like to throw like a girl«. Der imaginative Ball geht jedes Mal daneben, die Würfe kollabieren. Schulterzucken, in die Kamera lächeln. Nun stehen jüngere Kinder, Mädchen im Grundschulalter, vor dem Blue Screen. Dieselben Regieanweisungen. Run, fight, throw like a girl. Sie laufen so schnell sie können, sie holen weit aus, sie werfen ihre Fäuste nach vorne, sie zielen. Die Lippen zusammengepresst, der Blick konzentriert, keine Zeit zu lächeln oder sich die Haare zu richten.

»When did doing something ,like a girl’ become an insult?« Irgendwann zwischen Kindheit und Erwachsenwerden verändert sich scheinbar die Bedeutung von »like a girl«. Was jungen Mädchen noch als Beschreibung ihrer eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten gilt, wird auf einmal zur stereotypischen Beleidigung. »A girl’s confidence plummets during puberty.« Die – vor allem mediale – Repräsentation von stereotypischer Weiblichkeit lässt junge Mädchen die Misogynie selbst internalisieren, auf eigenes und fremdes Verhalten übertragen. Wer sich selbst als Mädchen definiert, »wie ein Mädchen« aber als hämischen Witz benutzt, wer will sich da noch zutrauen, als Schnellste zu laufen, das Tor zu treffen, siegreich zu kämpfen?

Die Lösung des Videos demnach: Wenn Vorurteile im Laufe des Aufwachsens gelernt werden, können wir sie dann nicht auch genauso gut wieder verlernen? »Let’s make #LikeAGirl mean amazing things«, wird am Ende des Videos eingeblendet. Und danach: Das Logo des Frauenhygieneartikel-Herstellers Always.

Greenfields #LikeAGirl ist ein Werbespot, Teil einer Kampagne, die im Februar 2015 ihr großes Finale feierte: 60 Sekunden der teuersten Primetime der Welt, Halbzeit-Werbepause des Super Bowls, 115 Millionen Zuschauer*innen. Damit wurde zum ersten Mal in der 49-Jährigen Geschichte des nicht nur ur-amerikanischen, sondern auch ur-männlichen Events eine Werbung für Frauenhygiene ausgestrahlt – eine Provokation, die nicht unbeantwortet blieb; sogenannte »Meninists« reagierten prompt mit dem Hashtag #LikeABoy, um ihrem Frust Gehör zu verschaffen. Sich bei einem nationalen Event ausschließlich an Frauen zu richten, sei bitteschön das Gegenteil von Gleichberechtigung. Dass das 60-sekündige Video eine so heftige Welle an Kritik und Wut hervorruft, erstaunt vor Allem bei der verhältnismäßigen Harmlosigkeit des Werbespots.

Diese beginnt bei dem ganz offensichtlichen Elefanten im Raum: Auftraggeber des Videos ist ein Hersteller von Menstruationsprodukten, von Menstruation selbst ist allerding kein einziges Mal die Rede. Sie wird ausgeklammert als potenzielles Ereignis, das zwischen den Grundschulmädchen und den älteren Darstellerinnen liegt, wird ausgespart als unausgesprochene Realität des Erwachsenwerdens und der biologischen Weiblichkeit. Die Hemmung, Menstruationsblutungen und ihre Nebenwirkungen explizit auszusprechen hat Tradition, auch und vor allem in Werbungen für Frauenhygiene. Allen vertraut ist so die blaue Flüssigkeit, die seit Anbeginn der Fernsehwerbung für Tampons oder Binden als Blut-Surrogat herhalten muss.

Auch im Wording hat man sich auf einen klaren Tenor geeinigt: Sicherheit, Diskretion und die Wortneuschöpfung »Frischegefühl«. Aufgabe der Menstruationsprodukte sei es, die Blutung selbst schön unter Kontrolle zu halten und möglichst unsichtbar zu machen; als wäre diese ein unappetitlicher, peinlicher Fehler des weiblichen Körpers. In diese Sprachlosigkeit, in die schambesetzte – und damit Scham reproduzierende – Tabuisierung der Menstruation reiht sich leider auch Greenfields Video ein.

Von allen Fragen bleibt gerade »What it looks like to bleed like a girl?« weiter unausgesprochen. Dies kann dem Werbespot nicht nur als großer blinder Fleck (Steile These: Vielleicht ist es gerade das Tabu der weiblichen Körperlichkeit, die dem Selbstbewusstsein junger Mädchen während der Pubertät zusetzt?), sondern auch als marktkonformes Zugeständnis an strukturell misogyne Werbestrategien vorgeworfen werden. Das emotionalisierte, handzahme Plädoyer für Empowerment ist so nicht mehr als ein blasses femvertising von Always; ein zögerliches Aufspringen auf den Zug des kommerzialisierten und pop-tauglichen Feminismus – mit angezogener Handbremse.

Für einen Aufruhr im Social Media der Antifeministen hat es aber doch gereicht. An diesem Aufruhr hat Procter & Gamble – der Konzern, dem auch die Marke Always gehört – scheinbar Gefallen gefunden; so haben sie die Internetgemeinde im Januar 2019 mit ihrem männlichkeitskritischen Spot The Best Men Can Be für Gillette erneut herausgefordert und kurz darauf in einer Kooperation mit Plus-Size-Bloggerin Anna O’Brien die nächste polarisierende Werbung nachgelegt – die Hater kommen hier gar nicht mehr zum Durchatmen.

Dieselbe Öffentlichkeit, die jahrzehntelang kein Problem mit sexistischer Werbung hatte, wittert nun auf einmal doch die Macht medialer Repräsentation und bekommt es mit der Angst zu tun. Eben jenen Einfluss, den die Werbeindustrie auf das Selbstbild gerade junger Frauen nimmt, beschäftigt Lauren Greenfield in ihrem gesamten Werk. Ihr Bildband Girl Culture ist der Lebensrealität von Mädchen gewidmet und deren ständigem Abgleich mit dem Idealbild aus Werbung, Film und Fernsehen. Die verheißungsvolle Aura materieller Statussymbole und dem damit verbundenen Lifestyle-Versprechen ist letztlich auch Thema der aktuellen Ausstellung GENERATION WEALTH in den Deichtorhallen.

Mit ihrer Auftragsarbeit für Always hat Greenfield nun aber zum ersten Mal die Perspektive gewechselt; von der kritischen Beobachterin zur aktiven Gestalterin medialer Botschaften mit Vorbildfunktion – einen Weg, den Greenfield fortsetzen will. Von der starken Öffentlichkeit für #LikeAGirl inspiriert, hat sie im Januar 2019 die Produktionsfirma Girl Culture Films gegründet; eine Kooperation weiblicher Filmemacherinnen, die sich gemeinsam für eine stärkere Präsenz von Frauen im Werbe-Business einsetzen. Ihr erstes Video The Pleasure Is Mine für den Gleitgel-Hersteller K-Y verspricht nun, dass endlich auch die Tabu-Decke der weiblichen Sexualität gelüftet wird. Vielleicht lässt sich davon ja auch die Werbeabteilung von Always inspirieren.

Nina Lucia Groß arbeitet als freie Autorin und Kuratorin und promoviert im Fach Kunstgeschichte an der Universität Hamburg. Sie ist Gründungs- und Vorstandsmitglied des feministischen Netzwerks femrep e.V.

Die Ausstellung LAUREN GREENFIELD – GENERATION WEALTH ist bis zum 23 Juni im Haus der Photographie zu sehen.


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