FOTO: © DASHA ILINA

»Ich bin in einer niemals endenden Dauerschleife gelandet«

Was bedeutet es, ständig miteinander verbunden und zur selben Zeit an mehreren Orten zu sein? In ihrem Projekt BE? HERE? NOW? untersucht die Netzkünstlerin Dasha Ilina digitale Achtsamkeits- und Meditationsformen – und begibt sich dabei auf eine Reise ins Internet der frühen 90er-Jahre. VON CAROLINE HUZEL

9. Juni 2022

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Dasha, Dein Projekt BE? HERE? NOW? für die Season thehost.is/DarshaHewitt dreht sich um Achtsamkeit und Meditation. Wie ist deine persönliche Verbindung zu diesen Themen – meditierst du regelmäßig?
Nein, ich meditiere überhaupt nicht. Zwar praktiziere ich Yoga, aber weniger wegen des Achtsamkeits-Aspekts, sondern eher, weil es die einzige sportliche Aktivität ist, zu der ich mich selbst zwingen kann und dabei nicht hasse.

Wie kam es zu dieser Themensetzung?
Das hat sich zufällig ergeben. Ich wollte einen Blick auf die Dualität innerhalb der Technologie werfen, vor allem in Hinblick auf den Begriff des »Digitalen Dualismus«, der von dem amerikanischen Social-Media-Theoretiker Nathan Jurgenson geprägt wurde. Jurgenson beschreibt damit Menschen, die die Technologie und die digitale Welt als getrennt von der »realen« Welt betrachten. Im Gegensatz dazu sieht er die Technologie vielmehr als konstant mit unserem täglichen Leben verwoben.

Als Hauptinspirationsquelle dienen Dir Mediationswebsites, die in ihrer Ästhetik stark an das Internet der 90er-Jahre erinnern.
Ich habe mich schon immer sehr für die frühe Web-Ästhetik interessiert, das ist wie eine Nostalgie für eine Ära, die ich selbst nie erlebt habe. Als ich begann, mich mit der Beziehung von Mediation und Technologie auseinanderzusetzen, die Art wie Achtsamkeit und Technologie koexistieren können, bin ich auf all diese Websites mit YouTube-Tutorials wie »how to meditate«, einem Onlineshop für Steine mit speziellen Fähigkeiten und verschiedensten spirituellen Ratgebern gestoßen. All diese Websites sahen großartig aus, sie waren so humorvoll gemacht. Als wären sie 1996 programmiert und seitdem nicht mehr berührt worden.

Wie bist du auf diese Websites gestoßen?
Angefangen hat alles mit dem World Wide Meditation Center. Auf dieser Seite gibt es einen »resources room« mit einer Reihe von Websites, die für eine tiefergehende Beschäftigung interessant sein könnten. Also habe ich angefangen, mich durch alles durchzuklicken, was ich interessant fand. Diese Websites haben dann wiederum auf andere weiterführende Seiten verlinkt. Und so bin ich in einer Art niemals endender Dauerschleife gelandet.

Aus heutiger Sicht wirken die Websites absurd und aus der Zeit gefallen. Glaubst du, dass alles darauf ernst gemeint ist?
Ich glaube, dass die Menschen, die diese Seiten betreiben und darauf ihre Services anbieten, sich selbst sehr ernst nehmen. Der Workshop, den ich vor ein paar Wochen im Rahmen meiner Residenz hier in Hamburg gegeben habe, drehte sich insbesondere um die Website psychicaccess.com. Auf dieser Seite kann man spirituelle Lesungen von Menschen mit besonderen Fähigkeiten kaufen.

Also müssen sich die Personen selbst ernst nehmen, denn sie wollen, dass man Geld für ihre Services zahlt…
Das ist der Teil meines Projekts, bei dem ich besonders aufpassen muss. Es ist leicht, damit jemanden zu verärgern. Ich will mich über niemanden lustig machen, gleichzeitig soll die Website, die am Ende entsteht, durchaus humorvoll sein.

Lass uns noch einmal über deine Faszination für das Internet der 90er-Jahre sprechen. Du selbst bist 1996 geboren. Wie ist diese Faszination entstanden?
Als ich das erste Mal einen Computer benutzt habe, war die 90er-Ästhetik noch immer existent. Als ich dann begann Digitale Kunst zu studieren, sind mir einige Künstler*innen begegnet, die mit dieser Ästhetik arbeiten, zum Beispiel Olia Lialina oder Petra Cortright. Eine große Inspirationsquelle war außerdem die waybackmachine, ein riesiges Archiv von nahezu jeder Website, die jemals existiert hat.

Du bist Begründerin des Center for technological pain (Zentrum für technologischen Schmerz). Was genau verstehst du unter »technologischem Schmerz«?
Jeder Schmerz, der durch digitale Endgeräte verursacht wird. Dieser Schmerz muss nicht physisch sein, es kann sich ebenso um ein mentales Problem handeln. Oder um depressive Verstimmungen, verursacht dadurch, dass jemand zu viel auf Social Media unterwegs ist und ständig das Gefühl hat, etwas zu verpassen. Oder wenn jemand unter Schlafproblemen leidet, weil er nachts zu lange auf das Handy schaut.

Glaubst du, dass Achtsamkeit und Meditation helfen könnten, solche »technologischen Schmerzen« zu verbessern?
Ich weiß nicht genug über Meditation, aber der Ansatz, sich auf eine Sache zu konzentrieren und sich nicht von der Außenwelt ablenken zu lassen, kann sicherlich hilfreich sein.

Ist es mit unseren technologischen Geräten und dem Drang, immer online sein zu müssen überhaupt möglich technologisch »präsent« zu sein?
Das Verständnis dessen hat sich definitiv geändert. Kritiker*innen sagen zum Beispiel, dass eine bedeutungsvolle Unterhaltung online nicht möglich ist, dass du dafür auf jeden Fall physisch präsent sein musst. Ich denke aber, dass es ebenso möglich ist im digitalen Raum »präsent« zu sein – es braucht vielleicht nur mehr Mühe, sich nicht ablenken zu lassen.

Also geht es dir auch um die allgemeine Skepsis gegenüber der Technologie und wie man damit umgeht?
Die meisten Artikel, auf die ich während meiner Recherche gestoßen bin, stammen aus der Zeit von 2010 bis 2015. Einer trug den Titel »Ich bin nicht gegen Technologie, ich bin für Konversation«. Interessanterweise haben die damals verbreiteten Ängste und Prognosen die Art und Weise, wie wir heute mit Technologie umgehen kein bisschen beeinflusst. Und genau dieses Spannungsfeld möchte ich in meinem Projekt untersuchen.

Damit knüpfst du an die techno-skeptischen Diskurse von vor 15 Jahren an.
Ich thematisiere, dass diese Diskurse stattgefunden haben und immer noch stattfinden. Das steht auch in direktem Bezug zu dem Konzept, das Darsha für diese Season entwickelt hat – einen Blick auf die Merkwürdigkeit der Tele-Präsenz zu werfen, die mit all den neuen Programmen und Tools einhergeht, die vor allem während der Pandemie entstanden sind.

Vom 10. bis 12. Juni ist BE? HERE? NOW? in der KX auf Kampnagel zu sehen. Was wird die Besucher*innen dort erwarten?
Meine Idee ist es, eine Art Büroraum zu erschaffen, in dem die finale Website http://b3h3r3n0w.com/ gezeigt wird. In diesem Raum lassen sich sowohl veraltete als auch moderne Technologien wiederfinden, sodass es schwierig ist eindeutig zu sagen, wo und in welcher Zeit er sich befindet. Die Besucher*innen sollen zum Nachdenken angeregt werden – darüber, was es bedeutet präsent zu sein in einer Zeit, in der wir ständig miteinander verbunden sind und es so einfach ist an vielen verschiedenen Orten zur selben Zeit zu sein. Und darüber, was das mit unseren Beziehungen macht. Ich glaube das Bedürfnis, physisch mit anderen Menschen zusammen zu sein, wird sich nicht ändern.

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Dasha Ilina (*1996) ist eine russische Medienkünstlerin, die in Paris lebt. Durch den Einsatz von Low-Tech und DIY-Ansätzen beleuchten ihre Arbeiten die undurchsichtige Beziehung zwischen unserem Wunsch, moderne Technologien in unser tägliches Leben zu integrieren, und den gängigen gesellschaftlichen Imperativen der Sorge für sich selbst und für andere. Ilina ist Begründerin des Center for Technological Pain (Zentrum für technologischen Schmerz), ein Projekt, das DIY-Lösungen für Gesundheitsprobleme anbietet, die durch digitale Technologien verursacht werden. Sie wurde dafür mit einem Honorary Mention bei der Ars Electronica geehrt.

Caroline Huzel studierte Kulturwissenschaften und Kommunikationswissenschaft in Lüneburg und Münster. Derzeit arbeitet sie als Volontärin in der Kommunikation bei den Deichtorhallen Hamburg.

HOW TO BEAM – DO-IT-YOURSELF TELEPORTATION FOR HYBRID TIMES findet vom 15. März bis 15. Juni 2022 im Rahmen des digitalen Residenzprogramms thehost.is der Deichtorhallen Hamburg und Kampnagel statt.


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