Foto: Julia Steinigeweg

»Es war heftig, in das Leben
von anderen einzutauchen«

Der Fotograf Malte Sänger erforscht mithilfe von Satellitenbildern und alten WhatsApp-Nachrichten die Grenzen zwischen digitaler Kommunikation und Wahrnehmung. Ein Gespräch über unsichtbare Fotografie, digitale Geisterwesen und seine Faszination für Zwischenwelten. VON GUNTHILD KUPITZ

9. Juni 2020

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HALLE4: Malte, im vergangenen Jahr hast du den gute aussichten–Grant III erhalten. Was war für dich wichtiger – das Renommee, das mit dem Stipendium verbunden ist, oder das Geld, um ein Projekt realisieren zu können?
Malte Sänger: Ohne die 6000 Euro gäbe es diese Arbeit nicht – oder vielmehr nicht zu diesem Zeitpunkt. Projekte wie diese schlummern ja tief in einem und arbeiten sich an die Oberfläche, ob man will oder nicht. Und natürlich ist auch noch einmal die gleiche Summe von meinem eigenen Geld darein geflossen. Aber natürlich ist es toll, so schnell zum zweiten Mal in den Deichtorhallen auszustellen, wo sonst große Fotografen und ihr Lebenswerk gezeigt werden.

Als einer der gute aussichten 2018/19-Preisträger hattest du hier deine Abschlussarbeit Abdrücke von der Offenbacher Hochschule für Gestaltung gezeigt. In dieser Serie ging es um digitale Spuren von Menschen auf der Flucht. Auch in deiner aktuellen Arbeit sind Smartphone und Satelliten wesentliche Bestandteile. Hat sich das Neue aus dem Alten entwickelt?
Nein, nicht wirklich. Es sind eher Interessencluster. Bei DAEMON geht es um die unsichtbare Fotografie, die um uns herum passiert. Ich wollte dafür zwei weit auseinander klaffende Welten zusammenbringen: Zum einen das Smartphone, das so nah am Körper getragen wird, dass es fast schon seine Wärme aufnimmt, und zum anderen, als extremer Kontrast, die von Menschen gemachten Maschinen, die als geostationäre Satelliten in 36.000 Kilometer mit der Erde kreisen. Beide machen unsichtbare Fotos: Das Smartphone durch das Abtasten mit Infrarot-Strahlen beim Entsperren per Face-ID, und der Satellit schickt auf seiner Umlaufbahn permanent Aufnahmen von der Erde als Tonsignal hierher. Mir war diesmal allerdings auch wichtig, selbst zu fotografieren. Denn Konzeptarbeiten wie Abdrücke haben ja sehr viel damit zu tun, dass man sich fremdes Material aneignet.

Malte Sänger, DAEMON; 2019. © Malte Sänger

Irritierenderweise sehen deine Satellitenbilder beinahe aus wie Gemälde.
Ist das nicht unglaublich? Die gesamte Arbeit hat plötzlich eine Form angenommen, die viel mit Malerei zu tun hat. Ein Teil der Satellitenaufnahmen ist entstanden, als ich mit einer selbstgebauten Antenne auf dem Dach meines Ateliers stand, um die Funksignale zu empfangen.

Was konntest du da hören?
Anfangs nur ein Rauschen, das aber immer klarer wird, bis es irgendwann dröhnt – und der Satellit direkt über einem steht, bevor er weiterzieht. Am Computer habe ich dann die Funksignale in Tonsignale umgewandelt und anschließend die Bilder rekonstruiert. Für den anderen Teil dieser Satellitenbilder habe ich von einem Europäischen Betreiber für Beobachtungssatelliten einen Stick bekommen, mit dem ich das Datenkauderwelsch der Tonsignale entschlüsseln und in Fotos übersetzen konnte. Und auf einmal sieht man als Ergebnis dieser kalten, binären Technologie diese Wahnsinnsspektren. Auch die Infrarot-Fotos erinnern durch die Blicke und Haltungen der Menschen an klassische Porträts aus dem 18. Jahrhundert. Infrarot-Porträts mit abgezapften Satellitenbildern zu kombinieren – ich glaube, das hat noch keiner gemacht.

Wie sind diese Porträts überhaupt entstanden? Die Infrarotstrahlen kann man ja schließlich nicht sehen.
Ich habe dafür eine klassische Spiegelreflexkamera auseinandergenommen und bestimmte Filter ausgetauscht, so dass die Kamera am Ende nichts mehr sehen konnte – außer eben diese Infrarotwellenlängen, die die Handys beim Entsperren als Rasterpunkte auf Gesicht und Oberkörper der Menschen schickt. Das Setup im Studio mit vier- bis sechs Stundensessions, die Aufnahmen selbst – das alles war ein ziemlich komplizierter Prozess. Und plötzlich war da diese Verletzlichkeit in den Fotos zu sehen. Den Menschen wurde fast ihre Identität entzogen, sie waren nur noch ein Datensatz. Das hat mich sehr fasziniert. Überhaupt, dass wir so umhüllt sind von Technologie.

Malte Sänger, DAEMON; 2019. © Malte Sänger

Woher kommt der Name dieser Arbeit – DAEMON?
In der griechischen Mythologie und Philosophie sind Daimones Geisterwesen, die unsichtbar für die Menschen Einfluss auf sie nehmen. Sogenannte Daemons im Hintergrund sämtlicher Computerbetriebssysteme laufen als bezeichnete Programme unbemerkt ab. Diese seltsamen Zwischenwelten finde ich superinteressant. Ich bin natürlich auch zu den Orten gefahren, wo die Daten der Satelliten sich manifestieren – oder es zumindest in der Vergangenheit taten. So wie im Odenwald. Da gab es diese verlassene Empfangsstation mit diesem wunderschönen Foto der Erde, das der erste Wettersatellit Meteosat 1977 gemacht hat. Heute feiern Jugendliche dort Partys.

Zu deiner Arbeit gehören auch noch Texte. Was hat es damit auf sich?

Die sind auf Grundlage von WhatsApp-Kommunikation entstanden. Auf Wertstoffhöfen lassen sich nämlich alte Handys grammweise kaufen. Auf manchen von ihnen sind noch die alten Nachrichten gespeichert.

Du konntest sehen, welche Fotos die ehemaligen Besitzer verschickt und bekommen haben, ihre Mitteilungen lesen und ihre Stimme hören.

Genau.

Eine seltsame Intimität, oder?
Total. Es war ziemlich heftig in das Leben von anderen einzutauchen, die ich nicht kannte, von ihren Lügen zu erfahren und den Beziehungen, die sie mit anderen eingegangen sind. Der gesamte Mensch ist durch diesen Filter gelaufen. Der Eingriff in diese unsichtbaren Sphären, das Aufmachen dieses fremden Kommunikationsraumes ist schon ein sehr massiver Akt gewesen. Das hat auch etwas mit Kontrollverlust zu tun. Und eben das wollte ich spürbar machen, indem ich ein Jahr aus diesen Leben erzähle.

Malte Sänger, DAEMON; 2019. © Malte Sänger

Wie viel steckt in diesem Teil der Arbeit von dir als Fotograf?
Ich glaube, da ist vor allem ganz viel beobachtender Mensch drin, bei dem fremde Momente hängenbleiben, die festgehalten werden müssen. Das ist genauso Fotografie, wie sich eine Kamera vors Gesicht zu halten und abzudrücken.

Womit hast du dich beschäftigt, als du mit dem Fotografieren angefangen hast?
Zufälligerweise habe ich mir letztens alte Portfolios angeschaut – und meine ersten Arbeiten an der Hochschule waren tatsächlich immer eine Art Blick hinter die Kulissen, in geschlossene unsichtbare Räume. Ich habe zum Beispiel mit einer selbstgebauten Kamera hinter die Heizung geschaut – und plötzlich habe ich Orte gesehen, die vorher unsichtbar waren. Und das zog sich eigentlich so durch.

Die Reportagefotografie hat dich also nie interessiert?
Doch, die finde ich auch großartig. Im vergangenen Sommer bin ich durch Europa gefahren und habe ganz klassisch mit der analogen Mittelformatkamera Porträts von Menschen und komischen Orten gemacht. Das ist auch ein Thema, vor allem nach einer Konzeptarbeit. Das ist dann wie Auslaufen nach einem Marathon: Du musst nicht nachdenken. Da reagiert man auf Sachen, die man spannend findet, baut das Stativ auf, drückt auf den Auslöser, vergisst die Fotos für Monate und irgendwann aber macht man dann ein Buch daraus. Das ist ganz wichtig: Das am Ende immer in eine Form zu bringen.

Was sind das denn für Sachen, auf die du reagierst?
Dinge, die mich überraschen. Wenn ich anfange zu staunen, dann weiß ich, dass ich auf irgendeinem Weg bin, den ich weitergehen muss. Das ist fast ein kindliches Staunen. Als ob man eine Tür aufmacht, ohne zu wissen, was sich dahinter verbirgt.

Gunthild Kupitz arbeitet als freie Journalistin und Textchefin in Hamburg.

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ie Ausstellung GUTE AUSSICHTEN – JUNGE DEUTSCHE FOTOGRAFIE 2019/2020 & GRANT III ist noch bis zum 30. August 2020 im Haus der Photographie zu sehen.


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