Installation von Mark Dion in der Sammlung Falckenberg. Foto: Henning Rogge / Deichtorhallen Hamburg

»Wir müssen damit beginnen, umzudenken«

Die Coronakrise stellt die Museen und Ausstellungshäuser vor große Herausforderungen. Ein Gespräch mit Annette Sievert, Ausstellungsmanagerin in den Deichtorhallen Hamburg, über Rückschläge und neue Alternativen. VON DOMINIK NÜRENBERG

20. März 2020

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Die Deichtorhallen Hamburg haben auf die Allgemeinverfügung der Stadt Hamburg zur Ausbreitung des Coronavirus reagiert und ihre drei Ausstellungshäuser für Besucher*innen bis zum 30. April 2020 geschlossen. Wie wirkt sich das auf das laufende Ausstellungsprogramm aus? 

Unsere laufenden Malerei-Ausstellungen JETZT! JUNGE MALEREI IN DEUTSCHLAND und QUADRO in der Halle für aktuelle Kunst wären nach ursprünglicher Planung bis zum 17. Mai 2020 zu sehen gewesen. Beide Ausstellungen haben bislang sehr gutes Feedback bekommen, sowohl im Hinblick auf die Besucher*innenzahlen als auch was die Medienresonanz anbelangt.

Mit Sicherheit gibt es da draußen noch viele an Malerei interessierte Besucher*innen, die sich die Ausstellungen anschauen möchten. Daher werden wir die entfallene Ausstellungszeit selbstverständlich nachholen und die Laufzeit nach aktueller Planung bis zum 9. August 2020 verlängern. Dieser Termin kann sich aber auch noch ändern, je nachdem, wie lange die Schließungen dauern werden, das kann im Moment niemand seriös vorhersagen.

Können alle bisher geplanten Ausstellungen noch umgesetzt werden?

Einige Ausstellungen, die mit einer großzügigen Laufzeit geplant waren, werden jetzt unter Umständen etwas verkürzt, im Prozess dieser Planungen sind wir gerade. Insbesondere für die zahlreichen jungen Künstler*innen, deren Werke in den aktuellen Ausstellungen JETZT! JUNGE MALEREI IN DEUTSCHLAND und QUADRO zu sehen sind, ist diese Schließungszeit ein herber Rückschlag. 


Wie gehen die Künstler*innen damit um?
Ja, die teilnehmenden Künstler*innen waren natürlich einerseits traurig, aber freuen sich nun über die geplante Verlängerung. Gerade für diese Generation ist die Sichtbarkeit ihrer Arbeiten im Kontext einer institutionellen Ausstellung von großer Bedeutung. Alle haben sehr positiv darauf reagiert, dass die Ausstellung nun bis nach den Hamburger Sommerferien laufen soll.

Wie gehen Sie dabei organisatorisch vor?
Erst einmal haben wir für die laufenden Ausstellungen Künstler*innen, Leihgeber*innen und Kooperationspartner*innen über die geplante Verlängerung informiert. Leihverträge und Versicherungen müssen nun verlängert werden. Da haben wir für die Malerei-Ausstellungen mit gut 80 Leihgeber*innen im Moment gut zu tun. Für die späteren Projekte müssen bereits beauftragte Transporte terminlich verschoben werden, Kooperationsverträge modifiziert werden.

















»Für junge Künstler*innen ist die Sichtbarkeit ihrer Arbeiten von großer Bedeutung«
Noch bis zum 30. April geschlossen: Die Ausstellung JETZT! JUNGE MALEREI IN DEUTSCHLAND in den Deichtorhallen Hamburg.
Foto: Henning Rogge/Deichtorhallen Hamburg

















»Die derzeitige Krise wirft ganz grundsätzliche Fragen hinsichtlich der Globalisierung und Mobilität auf«

Die Ausstellungen im Haus der Photographie befanden sich zum Zeitpunkt der Schließung im Umbau. Werden die aktuell geplanten Ausstellungen dort überhaupt eröffnet?
Die Nachricht der Schließung hat die Kolleg*innen tatsächlich mitten im Aufbau erwischt. Die Ausstellung recommended war fast fertig installiert, mit GUTE AUSSICHTEN 2019/2020 – JUNGE DEUTSCHE FOTOGRAFIE und RECOMMENDED – OLYMPUS FELLOWSHIP wollte das Team mit Hilfe der teilnehmenden Künstler*innen gerade loslegen. Das war schon eine sehr dramatische Situation, quasi mitten in der Arbeit den Griffel fallen zu lassen. Aber ja, nach Aussage von Ingo Taubhorn, Kurator des Hauses der Photographie, soll die Eröffnung auf jeden Fall nachgeholt werden. Auch diese beiden Ausstellungen sollen entsprechend verlängert werden.

GUTE AUSSICHTEN tourt ja noch über weitere Stationen, die Daten müssen natürlich auch mit den Folgestationen abgesprochen werden, aber auch in anderen Häusern schiebt sich ja alles nach hinten – das ist jetzt ein weltweites Vorgehen.

Verändert sich Ihre Arbeit im Ausstellungsmanagement dadurch auch grundlegend?
Im Prinzip nicht, der administrative Aufwand erhöht sich natürlich durch die Verschiebungen, aber wir arbeiten einfach weiter an den Projekten, die wir geplant haben, allerdings teilweise auch von zu Hause aus.

Welche Chancen oder möglicherweise langfristigen positiven Entwicklungen können sich durch diese Krisensituation für Museen und Ausstellungshäuser ergeben?
Die Krise wirft ganz grundsätzliche Fragen hinsichtlich der Globalisierung und Mobilität auf. Ohne die omnipräsente Reisetätigkeit, immer und überall hinfliegen zu müssen, wäre es zu einer Ausbreitung des Virus in diesem Ausmaß wahrscheinlich gar nicht gekommen.



Insbesondere für die Kunstwelt scheint das Thema CO2-Ausstoß bislang kaum eine Rolle zu spielen. 


Man muss sich schon die Frage stellen, ob es denn wirklich notwendig ist, Kunstwerke von einer Galerie in Köln zur Art Basel Miami zu verschiffen, um sie dann dort an einen deutschen Sammler zu verkaufen. Die ganze Branche hat meines Erachtens das Maß der Dinge komplett aus den Augen verloren. Von derartigen Auswüchsen sind wir nun nicht direkt betroffen, aber auch Institutionen sollten sich fragen, ob es immer sinnvoll ist, Ausstellungen um den ganzen Erdball zu transportieren, statt möglicherweise mehr Projekte in situ zu realisieren. Damit will ich nicht sagen, dass wir uns in unseren kulturellen Welten abgrenzen sollten, aber wir müssen beginnen, umzudenken und nach Alternativen zu suchen, wie wir – auch ohne ständig durch die Gegend zu jetten – mit der Welt im Dialog bleiben können.

Annette Sievert ist Ausstellungsmanagerin für die Halle für aktuelle Kunst der Deichtorhallen Hamburg.

Dominik Nürenberg ist Volontär im Bereich Kommunikation der Deichtorhallen Hamburg.


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